Shell schluckt britischen Gasförderer
Der niedrige Ölpreis macht Unternehmen in der Branche zu Übernahmekandidaten.
Shell-Vorstandschef Ben van Beurden wirkte am Mittwoch sichtlich gelöst. Wie selbstverständlich verkündete er, dass sein Unternehmen 47 Mrd. Pfund (rund 64 Mrd. Euro) auf den Tisch legen will, um den britischen Gasförderer BG Group zu übernehmen – ein Megadeal, wie es ihn in der Branche seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Die Branche steckt in der Krise, der niedrige Ölpreis macht vielen Konzernen zu schaffen. ExxonMobil, Shell, Statoil, BP – alle großen Wettbewerber haben in den vergangenen Wochen angekündigt, Investitionen verschieben zu müssen und ihre Geschäfte zu konsolidieren. Die britisch-niederländische Shell begründete den BG-Kauf denn auch mit erwarteten Einsparungen: Pro Jahr soll es Synergien von rund 3,4 Mrd. Euro vor Steuern geben.
Wie die beiden Unternehmen am Mittwoch mitteilten, zahlt Shell in bar und Aktien rund 52 Prozent Prämie auf den durchschnittlichen BGAktienkurs der vergangenen drei Monate. Aktionäre der BG, die einst aus der British Gas hervorging, sollen am neuen Unternehmen rund 19 Prozent halten. Die Megafusion wird zudem eine Reihe von Beteiligungsverkäufen nach sich ziehen: Shell kündigte an, sich zwischen 2016 und 2018 von Werten in Höhe von 30 Mrd. Dollar (27,7 Mrd. Euro) zu trennen. Im Jänner hatte der Ölmulti die Summe der geplanten Verkäufe pro Jahr noch mit fünf bis sechs Mrd. Dollar angegeben.
Die BG Group hat anders als Shell oder BP kein Geschäft mit Endkunden und ist daher von den tiefen Preisen auf dem Rohstoffmarkt be- sonders stark betroffen. Der Aktienkurs des Förderexperten war 2014 um 30 Prozent eingebrochen. Technische Probleme, etwa in Brasilien, und personelle Querelen in der Führungsetage kamen dazu. BG gilt deshalb schon seit Monaten als Übernahmekandidat. Zum Jahreswechsel waren Gerüchte laut geworden, wonach ExxonMobil zuschlagen wolle. Shell saß am längeren Hebel. „Wir sprechen schon seit sehr langer Zeit miteinander“, sagte der Shell-Vorstandschef.
An den Börsen schossen die Kurse der Ölkonzerne am Mittwoch nach oben, nachdem sie in den ver- gangenen Monaten abgestürzt waren. Laut Experten könnte die Fusion der Startschuss für eine Übernahmewelle auf dem Energiemarkt sein. Shell sichert mit der Transaktion die eigene Zukunft ab. Der Konzern erhöht damit seine Rohstoffreserven auf einen Schlag um ein Viertel. BG ist auf Flüssiggas (LNG) spezialisiert, ein Feld, auf dem auch Shell als Pionier gilt. Im Konzern dürfte zuletzt aber die Erkenntnis gereift sein, dass der Zukauf von Fördergebieten über eine große Fusion einfacher und vor allem kostengünstiger sein kann als der Ausbau eigener Aktivitäten.
Das erfährt Shell derzeit in der Arktis, wo man gegen Widerstand von Umweltschützern versucht, Ölfelder vor Alaska zu erschließen. Die Logistik dafür kostet laut ShellFinanzvorstand Simon Henry mehr als eine Milliarde US-Dollar, wenn gebohrt werden kann. „Falls nicht, kostet es knapp eine Milliarde.“Auch der Marktzugang von BG war wichtig, Großbritanniens drittgrößter Gasproduzent liefert viel nach China. Laut der Internationalen Energieagentur kommt der Löwenanteil des Wachstums beim weltweiten Energiekonsum künftig aus China und Indien.