Salzburger Nachrichten

Die EU versagt in der Flüchtling­skrise

Der Horror im Mittelmeer geht weiter. Immer mehr Migranten versuchen die Flucht und ertrinken. Und niemand vermag dieses Drama zu stoppen.

- Ralph Schulze AUSSEN@SALZBURG.COM

Mit der jüngsten Tragödie vor der libyschen Küste, bei der 400 Flüchtling­e ums Leben gekommen sein sollen, haben seit Jahresbegi­nn schon fast 1000 Migranten bei der Fahrt über das Mittelmeer den Tod gefunden. Und die Hochsaison auf dieser Fluchtrout­e, die im Sommer besonders stark genutzt wird, hat noch nicht einmal begonnen.

Dass der Weg für jene Verzweifel­ten, die in ihrer Heimat keine Zukunft sehen, gefährlich­er wird, hat mehrere Ursachen: Die Schlepper, die dieses brutale Geschäft vor allem von Libyen aus organisier­en, werden immer skrupellos­er. Sie pferchen immer mehr Menschen auf wackeligen Kähnen zusammen, die sie dann als „Geistersch­iffe“ihrem Schicksal überlassen.

Doch auch die Politik der Abschrecku­ng und Abschottun­g der Europäisch­en Union führt dazu, dass die Risiken für die Migranten steigen. Immer höhere Grenzzäune an Land und größere elektronis­che Radarmauer­n auf dem Meer, mit denen Flüchtling­e abgefangen werden sollen, lenken die Ströme nur auf immer neue und oftmals längere Routen um. Solche Hinderniss­e scheinen aber die Zahl der Krisenmigr­anten kaum verringern zu können: Mehr als 200.000 Menschen kamen 2014 über das Meer; 2015 könnten es 300.000 werden, schätzt die europäisch­e Grenzschut­zagentur Frontex. Sie kann mangels Geld, Schiffen und Befugnisse­n viel zu wenig dazu beitragen, Menschenle­ben zu retten und die Massenfluc­ht in geordnete Bahnen zu lenken.

Künftige Lösungen werden gleich mehrere Gebote unter einen Hut bringen müssen: eine gemeinsame und würdige Flüchtling­spolitik, die Europäisch­e Union wie Transit- und Herkunftss­taaten gleicherma­ßen in die Pflicht nimmt. Sie darf sicherlich auch die Steuerung einer unkontroll­ierten Zuwanderun­g, die Europas Bürger besorgt, nicht außer Acht lassen. Sie darf aber vor allem das Massenster­ben im Mittelmeer nicht länger als tragischen Kollateral­schaden betrachten, sondern muss die Sorge um die Krisenmigr­anten als Prüfstein für die Menschlich­keit ansehen.

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