Athen: Wir ächzen unter der schweren Flüchtlingslast
Wieder droht die griechische Regierung damit, Migranten massenweise in andere EU-Länder zu schicken.
Neue Konfusion um die griechische Flüchtlingspolitik: Schon im Februar drohten Minister der Athener Links-rechts-Regierung damit, die EU mit einer Flüchtlingswelle zu überschwemmen. Jetzt möchte Innenminister Nikos Voutsis diesen Plan offenbar umsetzen. Er sagt, er wolle massenhaft Migranten in andere EU-Länder weiterschicken. Er würde damit Griechenland aus der Schengenzone katapultieren. Der griechische Regierungssprecher bestätigte die Pläne zunächst – um sie dann wieder fallenzulassen.
Schon mehrfach drohte die neue griechische Regierung damit, Migranten in die anderen EU-Staaten weiterzuschicken – augenscheinlich in der Absicht, damit Druck in den laufenden Verhandlungen über weitere Finanzhilfen zu machen. Jetzt dreht Athen weiter an dieser Schraube. „Die Flüchtlinge haben Anspruch auf ein Schnellverfahren, damit sie in die von ihnen bevorzugten Länder weiterreisen können“, sagte Voutsis am Dienstag vor einem Parlamentsausschuss in Athen. Den „Ländern des Nordens“warf der Minister vor, sie wollten Griechenland in ein „Massenlager“für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge verwandeln.
Griechenland erlebte in den vergangenen Wochen tatsächlich einen ständig steigenden Zustrom von Einwanderern. Sie kommen vor allem von der türkischen Küste über die Ägäis zu den griechischen Inseln. Im ersten Vierteljahr wurden bereits 10.445 Migranten ohne gültige Papiere von der griechi- schen Küstenwache und Polizei aufgegriffen, fast vier Mal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Es handelt sich überwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.
Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, sie habe mit ihrer Ankündigung, die Flüchtlinge in andere Länder weiterreisen zu lassen, selbst für den starken Anstieg gesorgt. Viele Migranten berichteten tatsächlich, die Schlepper, die in der Türkei die Überfahrten zu den griechischen Inseln organisieren, hätten ihnen versichert, sie könnten nun von Griechenland aus in Länder ihrer Wahl weiterreisen.
Bereits im Februar hatte der für den Bürgerschutz zuständige Vizeminister Yannis Panoussis angekündigt, Griechenland werde Hunderttausende Migranten in die an- deren EU-Länder schicken. „Wenn die Europäer nicht verstehen, was wir ihnen sagen, werde ich 300.000 Migranten mit Reisedokumenten versehen, die dann Europa überfluten“, drohte Panoussis. Gerd Höhler berichtet für die SN aus Griechenland
Wenig später kündigte der rechtspopulistische Verteidigungsminister Panos Kammenos an, man werde Zehntausende Flüchtlinge nach Berlin schicken. Wenn sich darunter auch Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) befänden, habe Deutschland sich das selbst zuzuschreiben.
Der Flüchtlingsansturm war am Dienstagabend Gegenstand einer Krisensitzung unter Vorsitz von Ministerpräsident Alexis Tsipras. Die Minister beschlossen, die Migranten vorübergehend in ungenutzten Kasernen und anderen leer stehenden Gebäuden unterzubringen. Syrische Flüchtlinge sollten sofort Asyl erhalten und in andere Länder weiterreisen können, kündigte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis an. In einer wenig später herausgegebenen zweiten Erklärung dieses Sprechers fehlt allerdings die Passage zur Weiterreise in andere EU-Staaten.
Offen bleibt, was nun tatsächlich gilt: die sehr widersprüchlichen Erklärungen des Regierungssprechers oder die Ankündigung des Innenministers.