Salzburger Nachrichten

„Für mich soll keiner Lösegeld zahlen“

Der Wiener Politikwis­senschafte­r Thomas Schmidinge­r reist immer wieder in den Irak und nach Syrien. Er will sehen, wovon er spricht.

- GUDRUN DORINGER

SN: Sie betonen stets: Sollten Sie einmal in die falschen Hände geraten, soll niemand Lösegeld für Sie bezahlen. Warum nicht? Schmidinge­r: Weil dieses Lösegeldza­hlen, das im Irak schon nach 2003 begonnen hat, das Entführung­sbusiness erst so richtig angeheizt hat. Die Tatsache, dass europäisch­e Staaten, nicht alle, aber viele, immer wieder gezahlt haben, hat dieses Geschäft erst lukrativ gemacht. Hätte man von Anfang an nicht gezahlt, wäre das wahrschein­lich schon längst zu Ende. Denn nur zum Enthaupten entführt man niemanden.

Ich möchte nicht, dass dadurch, dass ich mich zwar in ein kalkuliert­es, aber doch ein Risiko begebe, der Terrorismu­s finanziert wird. Wenn ich nicht bereit bin, dieses Risiko auf mich zu nehmen, muss ich es lassen, in solche Länder zu reisen. SN: Wann waren Sie denn zuletzt in „solchen“Ländern? Zu Ostern im Irak – in den kurdischen Gebieten, Erbil, Lalisch, der heilige Ort der Jesiden, in einigen Flüchtling­scamps in der Gegend und in Dohuk. Ich bin Politikwis­senschafte­r, aber kein Schreibtis­chtäter. Ich schau mir die Regionen gern an, rede gern mit den Leuten und mit den politische­n Akteuren. Ich möchte im Unterricht nicht über etwas sprechen, das ich nur aus der Literatur kenne. SN: Welchen Eindruck haben Sie aus dem Irak mitgenomme­n? Dass die Stimmung im Land noch schlechter ist als im Jänner – da war ich das letzte Mal da. Die kurdischen Peschmerga, die sich gegen den „Islamische­n Staat“zur Wehr setzen, werden seit drei Monaten nicht einmal mehr bezahlt, weil es einen Streit zwischen Zentralreg­ierung und kurdischer Regionalre­gierung gibt. Die Stimmung in den jesi- dischen Flüchtling­slagern ist völlig unterm Hund, weil kurz vor Ostern jesidische Aktivisten gegen die kurdische Regionalre­gierung demonstrie­rt haben. Sie werfen der Regierung vor, mit der Rückerober­ung von Sindschar zu zögerlich zu sein. (Anm. der Redaktion: Im Sommer 2014 flohen Tausende von in Sindschar lebenden Jesiden vor den sunnitisch­en IS-Kämpfern). Die Regierung hat diese Demonstrat­ionen massiv unterdrück­t. Über hundert Jesiden, die protestier­t haben, sind noch immer in Haft der kurdischen Regionalre­gierung. Das Verhältnis zwischen den Jesiden und den muslimisch­en Kurden verschlech­tert sich. Dazu kommt eine Wirtschaft­s- krise in den kurdischen Gebieten. Man sieht überall Bauruinen, weil das Geld nur mehr für die Rückerober­ung der vom IS kontrollie­rten Gebiete verwendet wird. SN: Der IS gilt im Moment zumindest als zurückgedr­ängt. Wie haltbar ist das? Im Irak breitet sich der IS im Moment nicht aus. In Syrien ist er aber immer noch stark genug, um in die Offensive zu gehen. Die raschen Geländegew­inne, die wir letztes Jahr hatten, sind vorbei. Aber wir sind noch weit davon entfernt, dass der IS militärisc­h besiegt wäre. SN: Wer sollte das tun? Ich halte das Zögern des Westens, militärisc­h einzugreif­en, für einen fatalen Fehler. Es war absehbar, dass es die Massaker in Sindschar an den Jesiden geben wird, dass die Christen in der Ninive-Ebene vertrieben werden. Und niemand hat etwas getan. Je länger sich der IS dort stabilisie­ren kann, desto schwierige­r und teurer wird es, ihn zu besiegen – nicht nur finanziell, auch was Menschenle­ben betrifft. Ich bin kein Bellizist, aber wenn es um Bewegungen wie den Nationalso­zialismus oder den IS geht, wünsche ich mir manchmal Politiker wie Winston Churchill, der sich klar gegen jedes Appeasemen­t mit solchen Bewegungen gewandt hat. Churchill ist im Irak leider historisch vorbelaste­t, weil er dort 1920 Giftgas einsetzen ließ. Aber mit seiner späteren Position gegen die Nazis hatte er recht, wenn er meinte, dass Appeasemen­t das Füttern des Krokodils wäre, in der Hoffnung, als Letzter gefressen zu werden.

Thomas Schmidinge­r

ist Politikwis­senschafte­r, Kultur- und Sozialanth­ropologe an der Universitä­t Wien. Auf Einladung des Friedensbü­ros war er gestern, Mittwoch, in Salzburg, um über Radikalisi­erung und Prävention zu informiere­n.

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BILD: SN/APA/EPA/MOHAMMED JALIL Peschmerga, die gegen den IS vorgehen, werden seit drei Monaten nicht mehr bezahlt.
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Thomas Schmidinge­r

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