Alter Mann hetzt mörderisch
Für den 62-jährigen Nordiren Liam Neeson funktioniert Gewalt als ein später Karriereturbo. Der Actionfilm „Run All Night“dient dafür als neuestes Beispiel.
war „Schindlers Liste“ins Kino gekommen, der Film über den deutschen Industriellen Oskar Schindler, der in seiner Fabrik Tausende jüdische Männer, Frauen und Kinder unterbrachte und sie damit vor der Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz bewahrte. Neeson bekam für die Rolle des Schindler einen Oscar. Und er besiegelte damit seinen Ruf als hochseriöser Qualitätsschauspieler, als Cadillac im Wagenpark Hollywoods.
Danach folgten ein paar laue Jahre: Neeson spielte den schottischen Helden „Rob Roy“, den amerikanischen Sexforscher Alfred Kinsey und war die Stimme des messianischen Löwen Aslan in „Die Chroniken von Narnia“.
Und dann passierte etwas mit seiner Karriere, das alles Vorangegangene in den Schatten stellte. Vielleicht war Regisseur Pierre Morel gar nicht bewusst, wie genial der Schachzug war, Neeson 2008 für seinen preiswerten Actionfilm „96 Hours“zu engagieren. Neeson spielt darin einen ausrangierten, geschiedenen, aber ausgezeichnet trainierten Ex-Agenten, der auf der Suche nach seiner entführten Tochter halb Europa plattmacht. Gerade aus dem Kontrast zwischen Neesons rechtschaffenem Image und der eisigen Konsequenz beim Niedermetzeln seiner Feinde entstand eine unwiderstehliche Faszination. Und diese Kombination wurde zum Patentrezept, das Kinogeschichte schrieb. „96 Hours“bescherte dem damals 56-Jährigen eine stabile Zweitkarriere: Inzwischen gibt es zwei Fortsetzungen und Neeson dreht jedes Jahr mindestens einen weiteren bescheiden budgetierten Film, in dem er wieder einen hochkompetenten Killer spielt, der persönliches Unrecht grausam ahndet.
Der effiziente Rachethriller darf mittlerweile als eigenes Minigenre gelten, in dem noble Charakterdarsteller mit Karriereproblemen endlich die Sau rauslassen: Gerade erst ballerte sich Keanu Reeves in „John Wick“zurück auf die Leinwand und demnächst beweist der zweifache Oscarstar und Politaktivist Sean Penn in „The Gunman“als ExScharfschütze krude Männlichkeit (Start: 1. Mai).
In „Run All Night“, unter der Regie des spanischen Horrorspezialisten Jaume Collet-Serra („Orphan – Das Waisenkind“), kämpft nun Neeson als Jimmy Conlon um das Leben seines Filmsohnes Danny (Joel Kinnaman), der irrtümlich zum Zeugen eines Mordes wurde. Fortan ist Shawn Maguire den beiden auf den Fersen, die Polizei hält Vater und Sohn für die Killer und Jimmy Conlon bekommt eine ganze Nacht lang Gelegenheit, zu beweisen, dass er doch ein guter Vater ist.
Obwohl er Polizisten und Verfolger umlegt wie Schießbudenfiguren, bleibt er immer glaubwürdig der wahre, tragische Held der Geschichte. Das funktioniert vor allem aus einem Grund so gut, der die spezielle Karriere des Actionhelden Neeson ausmacht: weil wir aus dem Kino wissen, dass dieser Mann einmal Tausende Juden gerettet hat. Film: Run All Night. Action, USA 2015. Regie: Jaume Collet-Serra. Mit Liam Neeson, Joel Kinnaman, Ed Harris.