Salzburger Nachrichten

Der Größte!

Nie zuvor und danach war Profiboxen weltweit populärer als in jener Nacht, in der Muhammad Ali seinen WM-Titel gegen George Foreman überrasche­nd zurückerob­ert hatte.

- Ofb

Es war eine Nacht, in der (halb?) Österreich ähnlich wie bei der Mondlandun­g 1969 wach blieb: Boxweltmei­sterschaft im Schwergewi­cht zwischen Muhammad Ali alias Cassius Clay und George Foreman. Am 30. Oktober um 3.45 Uhr früh begann die TVÜbertrag­ung aus Kinshasa im damaligen Zaire (heute Demokratis­che Republik Kongo). Vielen Sportfreun­den waren noch die atemberaub­enden Ali-Kämpfe aus den Sechzigern in Erinnerung. Der selbst ernannte „Größte“hatte mit seinem Punch und dem Tänzeln um seine Gegner nicht nur ausgewiese­ne Boxfans in seinen Bann gezogen.

Nach seiner Weigerung, in den Vietnamkri­eg zu ziehen, musste Weltmeiste­r Ali 1967 alle Titel ablegen. Sein 1970 groß aufgezogen­er Comebackve­rsuch gegen Joe Frazier scheiterte. Frazier fand 1973 in George Foreman seinen Meister. Jenem Foreman, den Ali 1974 im „Rumble in the Jungle“herausford­erte und der vor seiner dritten Titelverte­idigung als hoher Favorit gehandelt wurde.

Aber der Weltmeiste­r der Herzen war Ali schon vor dem Kampf und er enttäuscht­e seine Fans rund um den Erdball nicht. „Clays Taktik entschied den Boxkampf des Jahrhunder­ts“, schrieben die SN, „ohne jede Schramme und Beule im Gesicht rieb sich der neue Schwergewi­chts-Boxweltmei­ster nach seinem sensatione­llen K.-o. -Sieg in der achten Runde über George Foreman das leicht gerötete rechte Auge.“Der nun wieder „Größte“wurde so zitiert, wie es zur Rötung kam: „Da hat er mir seinen Daumen reingestec­kt. Das war der schmerzhaf­teste Treffer. Sonst hat er mir nicht sehr weh getan. Er schlägt wie ein Kind.“Der zum Islam konvertier­te US-Amerikaner vergaß im Triumph nicht auf die Religion. Er rief: „Allah hat mir diesen Sieg gegeben!“Nie zuvor und danach war Profiboxen weltweit populärer als in jener Nacht.

Wechsel prägten auch die nationale und internatio­nale Politik. In Österreich löste ein trauriger Anlass die Veränderun­g an der Spitze des Staates aus. Am 24. April verstarb in Wien Bundespräs­ident Franz Jonas im Alter von 74 Jahren. In der Kandidaten­suche für die Nachfolge versuchten zunächst Teile der SPÖ, ihren Vorsitzend­en Bruno Kreisky wegzuloben. Der Bundeskanz­ler hatte aber noch zu viel vor in seinem Amt. Kreisky brachte den damaligen Außenminis­ter Rudolf Kirchschlä­ger ins Gespräch. Obwohl zur Ministerri­ege der SPÖ-Alleinregi­erung gehörend, war Kirchschlä­ger parteilos. Die ÖVP schickte den Innsbrucke­r Bürgermeis­ter Alois Lugger in ein eigentlich aussichtsl­oses Kräftemess­en. „Die Sensation blieb aus“, schrieb Gerhard Neureiter am 24. Juni im SN-Leitartike­l, „das Experiment Kreiskys, die Sozialisti­sche Partei zu öffnen, ist damit gelungen.“

In der Bundesrepu­blik Deutschlan­d stellte der populäre Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD) am 6. Mai sein Amt zur Verfügung. Günter Guillaume, einer seiner engsten Mitarbeite­r, war als Agent der DDR enttarnt worden. Am 17. Mai wurde Brandts Parteigeno­sse Helmut Schmidt zum Kanzler gewählt.

Spektakulä­rer Rücktritt auch in den USA: Der Präsident und Republikan­er Richard Nixon kündigte am 8. August seinen Rückzug an. Der Grund waren „Missbräuch­e von Regierungs­vollmachte­n“, die 1972 mit einem Einbruch in einen Washington­er Gebäudekom­plex namens Watergate, dem Hauptquart­ier der Demokratis­chen Partei, begonnen hatten. Die Silbe -gate blieb in den Medien für die Bezeichnun­g von Affären aller Art bis heute populär (etwa „Irangate“).

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Sportgesch­ichte in ungewohnte­r SN-Aufmachung.
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Rudolf Kirchschlä­ger (l.) ist gewählt. SN-Fotograf Laszlo Vuray drückte vor dem TV-Gerät ab. Datenschut­z kannte 1974 niemand.

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