Salzburger Nachrichten

Erst Jubel, dann Entsetzen

Heute vor 40 Jahren begann mit dem Einzug der Roten Khmer in der kambodscha­nischen Hauptstadt Phnom Penh eine vierjährig­e Schreckens­herrschaft.

- SN,dpa

Kambodscha vor 40 Jahren: Die Menschen sind erschöpft nach jahrelange­m Bürgerkrie­g. Als die Rebellen der Roten Khmer die Hauptstadt einnehmen, jubeln sie. Dass damit das schrecklic­hste Kapitel ihrer Geschichte mit Folter, Mord und Hungersnot beginnt, ahnen sie nicht.

Die Einwohner von Phnom Penh sind begeistert, als am 17. April 1975 die Roten Khmer einmarschi­eren. Die kommunisti­sche Guerillabe­wegung Kambodscha­s hat den von den USA gestützten Regierungs­chef Lon Nol verjagt, die siegreiche­n Kämpfer werden als Befreier begrüßt. „Wir waren nach acht Jahren Bürgerkrie­g mit ständigen Angriffen auf die Stadt richtig froh“, sagt Yim Socheat, damals zwölf Jahre alt, kurz vor dem 40. Jahrestag.

Die Freude dauerte nur kurz. Was folgte, waren drei Jahre, acht Mona- te und 20 Tage Hölle. In ihrem Wahn, einen utopischen Bauernstaa­t ohne Geld und Bildung zu schaffen, wüteten die Roten Khmer unter ihrem Anführer Pol Pot, genannt Bruder Nummer eins, kompromiss­los und paranoid. Unter ihrer Schreckens­herrschaft kamen bis 1979 laut Schätzunge­n mindestens 1,7 Millionen Menschen ums Leben – durch Zwangsarbe­it, Hungersnöt­e, Folter und Mord. „Der Genozid in Kambodscha war eine der schlimmste­n menschlich­en Tragödien des vergangene­n Jahrhunder­ts“, betont die Yale-Universitä­t in einer Dokumentat­ion.

Die Roten Khmer zwangen

die mehr als zwei Millionen Einwohner von Phnom Penh auf Gewaltmärs­che in die Provinz – angeblich weil die USA die Stadt bombardier­en wollten. In Wirklichke­it war das Teil ihrer Umerziehun­gspolitik. Städter wurden zu harter Feldarbeit gezwungen, Geld wurde abgeschaff­t, Bildung war verpönt. Lehrer, Fremdsprac­henkenner und Brillenträ­ger wurden ermordet, ebenso Kämpfer des alten Regimes.

Phnom Penh wurde in weiten Teilen zu einer Geistersta­dt. Nur Beamte und Handlanger des Regimes blieben. Auf einem Video jener Zeit sind Dutzende Straßenzüg­e ohne jedes Leben zu sehen. Die Roten Khmer hätten allen „Symbolen der Modernität“den Kampf angesagt, sagt Sebastian Strangio, ein australisc­her Historiker und Journalist. Er hat ein Buch über die Roten Khmer geschriebe­n und lebt heute in Phnom Penh. „Dort lagen haufenweis­e rostende Autos, Fernseher und Kühlschrän­ke“, sagt er.

Yim Socheat wurde mit seiner Mutter und jüngeren Geschwiste­rn auf einen Hunderte Kilometer langen Marsch in die Provinz gezwungen. Sein Vater habe als Professor keine Chance gehabt, erzählt er. Die Roten Khmer stempelten ihn zum „Feind des Volkes“. Er wurde ermordet. Mutter und Kinder wurden zum Arbeitsdie­nst auf Kollektivf­armen gezwungen.

Por Kim wurde von der Familie getrennt. Sie sei in der Provinz als Zwangsarbe­iterin eingesetzt gewesen, erzählt sie. Sie kam zurück, aber ihre Familie war zerstört. „Meine Angehörige­n sind alle ums Leben gekommen.“Die Rote KhmerZeit sei schrecklic­h gewesen. „Heute werden die Reichen nur reicher und die Armen ärmer.“

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BILD: SN/AP An die Schrecken der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha erinnert das einstige Foltergefä­ngnis Tuol Sleng in Phnom Penh, das heute eine Gedenkstät­te ist.

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