„Das nationale Trauma wurde hinuntergeschluckt“
Experte Markus Karbaum beschreibt, welche Folgen die Pol-Pot-Diktatur hatte – und wie sie bis heute nachwirkt.
Die größten Hindernisse bei der Aufarbeitung der traumatischen Geschichte von Kambodscha sind das Desinteresse der Bevölkerung und der eigene Premier – so das Fazit des Experten Markus Karbaum. SN: Wie hat die Diktatur von Pol Pot Kambodscha verändert? Karbaum: Die Roten Khmer wollten einen Steinzeitkommunismus einführen. Sie haben versucht, eine völlig neue Gesellschaft aufzubauen. Pol Pot wollte damit das Vorbild China in den Schatten stellen. Zentrale gesellschaftliche Säulen wie Familie und Religion wurden verleugnet. Das Regime hat versucht, das Geld abzuschaffen. Das hat das Land damals massiv verändert. Bis heute hat es sich ausgewirkt, dass dadurch soziales Kapital zerstört wurde. Es gibt ein sehr geringes gesellschaftliches Vertrauen und eine sehr geringe Kooperationsfähigkeit der Menschen. Die Kambodschaner haben also durch die schreckliche Zeit auch ihre Mentalität verändert. SN: Wie versöhnt man ein Land, in dem in vier Jahren ein Viertel der Einwohner vom Regime ermordet wurde? Das von den Vietnamesen eingesetzte und bis heute regierende Nachfolgeregime hat das zuerst mit eiserner Faust versucht. Und der Bürgerkrieg ging erst 1998 endgültig zu Ende. Aber die autoritäre Regierung von Premier Hun Sen ist derart korrupt, dass sie damit viele neue Probleme geschaffen hat. SN: Erst seit 2006 gibt es ein UNO-Sondergericht zur Aufarbeitung des Völkermords. Ist das nicht viel zu spät? Bei aller berechtigten Kritik muss man sagen, dass es schon ein Erfolg ist, dass es dieses Gericht überhaupt gibt. Immerhin wurden einige Haupttäter verurteilt – der Leiter des Foltergefängnisses S-21 in Phnom Penh, Ex-Präsident Kieu Samphan und Ex-Propagandachef Nuon Chea. Größtes Problem ist aber die Einflussnahme der Regierung auf das Tribunal . . . SN: . . . weil der seit 1985 amtierende Premier Sen früher Offizier der Roten Khmer war? Man muss ihm zugute halten, dass er 1977 geflohen ist. Er will alles unter Kontrolle haben, da kann er Störfeuer durch das Gericht nicht brauchen. Dazu kommt die kambodschanische Mentalität: Die Leute haben versucht, dieses nationale Trauma hinunterzuschlucken. Das Durchschnittsalter im Land ist unter 25 Jahren. Drei Viertel der Bevölkerung haben die Roten Khmer nicht mehr bewusst erlebt. Die wollen in die Zukunft sehen und nicht in die Vergangenheit. SN: Hat denn das UNO-Tribunal da noch Sinn? Hun Sen will ja nach den erfolgten fünf Prozessen keine weiteren Verhandlungen mehr zulassen. Das Gericht hat bisher gut gearbeitet. Und es gibt ein Dokumentationszentrum von eigenen Historikern. Ich weiß nicht, was das Tribunal noch will. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es zum Selbstzweck geworden ist. Denn das Regime verdient wegen der grassierenden Korruption gut an den Verfahren mit. Von den möglichen Prozessen gegen zwei weitere Angeklagte darf man nicht mehr viel erwarten. Niemand will mehr reinen Tisch machen.
Vor fünf Jahren gab es begleitend zum Tribunal auch eine gesellschaftliche Aufarbeitung. Da gab es überall in den Provinzen Gesprächsrunden. Das hat gut funktioniert. Es ging aber nur ein Jahr, dann ist es völlig verebbt. Die Menschen haben es auch nicht mehr weiter eingefordert. Es wird alles totgeschwiegen. SN: Wie wird es innenpolitisch weitergehen? Mit der Wahl 2013 hat die geeinte Opposition zu neuer Stärke gefunden. Hun Sen hat zum letzten Mal noch eine Mandatsmehrheit geschafft. Die Menschen haben aber durch die Proteste nach der Wahl gezeigt, dass sie keine Angst mehr haben. Jetzt haben wir erstmals eine echte Perspektive auf einen Machtwechsel bei der Wahl 2018. Die demografische Dynamik wird das Wählerpotenzial der Opposition weiter steigern – wenn sie geeint bleibt. Und sie hat eine TV-Lizenz, mit der sie das Medienmonopol der Regierung bald brechen wird.
Markus Karbaum: