Salzburger Nachrichten

„Das nationale Trauma wurde hinunterge­schluckt“

Experte Markus Karbaum beschreibt, welche Folgen die Pol-Pot-Diktatur hatte – und wie sie bis heute nachwirkt.

- Der Politologe (37 Jahre alt) aus Berlin betreibt den Blog cambodia-news.net, ist Consulter und coacht Menschen für berufliche Einsätze in Kambodscha.

Die größten Hinderniss­e bei der Aufarbeitu­ng der traumatisc­hen Geschichte von Kambodscha sind das Desinteres­se der Bevölkerun­g und der eigene Premier – so das Fazit des Experten Markus Karbaum. SN: Wie hat die Diktatur von Pol Pot Kambodscha verändert? Karbaum: Die Roten Khmer wollten einen Steinzeitk­ommunismus einführen. Sie haben versucht, eine völlig neue Gesellscha­ft aufzubauen. Pol Pot wollte damit das Vorbild China in den Schatten stellen. Zentrale gesellscha­ftliche Säulen wie Familie und Religion wurden verleugnet. Das Regime hat versucht, das Geld abzuschaff­en. Das hat das Land damals massiv verändert. Bis heute hat es sich ausgewirkt, dass dadurch soziales Kapital zerstört wurde. Es gibt ein sehr geringes gesellscha­ftliches Vertrauen und eine sehr geringe Kooperatio­nsfähigkei­t der Menschen. Die Kambodscha­ner haben also durch die schrecklic­he Zeit auch ihre Mentalität verändert. SN: Wie versöhnt man ein Land, in dem in vier Jahren ein Viertel der Einwohner vom Regime ermordet wurde? Das von den Vietnamese­n eingesetzt­e und bis heute regierende Nachfolger­egime hat das zuerst mit eiserner Faust versucht. Und der Bürgerkrie­g ging erst 1998 endgültig zu Ende. Aber die autoritäre Regierung von Premier Hun Sen ist derart korrupt, dass sie damit viele neue Probleme geschaffen hat. SN: Erst seit 2006 gibt es ein UNO-Sondergeri­cht zur Aufarbeitu­ng des Völkermord­s. Ist das nicht viel zu spät? Bei aller berechtigt­en Kritik muss man sagen, dass es schon ein Erfolg ist, dass es dieses Gericht überhaupt gibt. Immerhin wurden einige Haupttäter verurteilt – der Leiter des Foltergefä­ngnisses S-21 in Phnom Penh, Ex-Präsident Kieu Samphan und Ex-Propaganda­chef Nuon Chea. Größtes Problem ist aber die Einflussna­hme der Regierung auf das Tribunal . . . SN: . . . weil der seit 1985 amtierende Premier Sen früher Offizier der Roten Khmer war? Man muss ihm zugute halten, dass er 1977 geflohen ist. Er will alles unter Kontrolle haben, da kann er Störfeuer durch das Gericht nicht brauchen. Dazu kommt die kambodscha­nische Mentalität: Die Leute haben versucht, dieses nationale Trauma hinunterzu­schlucken. Das Durchschni­ttsalter im Land ist unter 25 Jahren. Drei Viertel der Bevölkerun­g haben die Roten Khmer nicht mehr bewusst erlebt. Die wollen in die Zukunft sehen und nicht in die Vergangenh­eit. SN: Hat denn das UNO-Tribunal da noch Sinn? Hun Sen will ja nach den erfolgten fünf Prozessen keine weiteren Verhandlun­gen mehr zulassen. Das Gericht hat bisher gut gearbeitet. Und es gibt ein Dokumentat­ionszentru­m von eigenen Historiker­n. Ich weiß nicht, was das Tribunal noch will. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es zum Selbstzwec­k geworden ist. Denn das Regime verdient wegen der grassieren­den Korruption gut an den Verfahren mit. Von den möglichen Prozessen gegen zwei weitere Angeklagte darf man nicht mehr viel erwarten. Niemand will mehr reinen Tisch machen.

Vor fünf Jahren gab es begleitend zum Tribunal auch eine gesellscha­ftliche Aufarbeitu­ng. Da gab es überall in den Provinzen Gesprächsr­unden. Das hat gut funktionie­rt. Es ging aber nur ein Jahr, dann ist es völlig verebbt. Die Menschen haben es auch nicht mehr weiter eingeforde­rt. Es wird alles totgeschwi­egen. SN: Wie wird es innenpolit­isch weitergehe­n? Mit der Wahl 2013 hat die geeinte Opposition zu neuer Stärke gefunden. Hun Sen hat zum letzten Mal noch eine Mandatsmeh­rheit geschafft. Die Menschen haben aber durch die Proteste nach der Wahl gezeigt, dass sie keine Angst mehr haben. Jetzt haben wir erstmals eine echte Perspektiv­e auf einen Machtwechs­el bei der Wahl 2018. Die demografis­che Dynamik wird das Wählerpote­nzial der Opposition weiter steigern – wenn sie geeint bleibt. Und sie hat eine TV-Lizenz, mit der sie das Medienmono­pol der Regierung bald brechen wird.

Markus Karbaum:

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria