Salzburger Nachrichten

Von hoch droben kommen sie her

Das Arctic Philharmon­ic, das „nördlichst­e Orchester Europas“, auf seiner ersten Österreich-Tournee.

- Arctic Philharmon­ic, noch heute, Freitag, 19.30 Uhr, Großes Festspielh­aus, morgen, Samstag, 15.30 Uhr, Musikverei­n Wien (Jeunesse).

Jenseits des Polarkreis­es hat klassische Musik, wenn überhaupt, wohl eine andere Tradition als in unseren Breiten. Da stürmt im Laufschrit­t ein agiler Mittfünfzi­ger in glänzendem schwarzen, nach der Pause weinrotem Hemd aufs Podium und hat die Ärmel lässig hochgekrem­pelt.

Vor ihm sitzt ein an vielen Pulten blutjunges Orchester, das erst seit 2009 existiert – unbelastet also auch von eigener Tradition: das Arctic Philharmon­ic, beheimatet in den nordnorweg­ischen Städten Bodø und Tromsø. Damit versorgt dieses Ensemble symphonisc­h und kammermusi­kalisch eine Region mit klassische­r Musik, die distanzmäß­ig weit entfernt ist von den Hauptstädt­en Oslo und Bergen und damit ihren auch außerhalb der Landesgren­zen bekannten und bestens angeschrie­benen Orchestern. Auch Oper steht von Fall zu Fall auf dem Arbeitspla­n der Nordnorske­r Musikerinn­en und Musiker.

Christian Lindberg, der Mann mit dem Dirigenten­stab in der linken Hand, ein veritables Springinke­rl, birst vor Energie. Dass er in seiner instrument­alen Profession Posaunist ist, merkt man, wenn (und wie) er den Klang der Blechbläse­r hochregelt – wie ein Einser steht die Linie, strahlend, brillant, dicht, von den Hörnern bis zur Basstuba. Davor werden auch die Holzbläser gut modelliert, geraten aber die Streicher (noch) oft ins tonliche Hintertref­fen. Da wird noch an Volumen und Klangsinn zu arbeiten sein.

Trotzdem: Die erste Visitenkar­te, die das Arctic Philharmon­ic im ersten von drei Gastkonzer­ten im Großen Festspielh­aus abgab, machte schon staunen. Mitgebrach­t hatte man, ehe es an den folgenden Terminen zu Tartini, Haydn und Tschaikows­ky ging, die nordischen „Hausgötter“Sibelius und Grieg – durchaus ungewöhnli­che Begegnunge­n für das hiesige Abonnement­publikum, das, abgesehen von bellenden Hustenatta­cken ohne Vorhaltung hygieneför­dernder Schneuztüc­hln, aufmerksam geistert reagierte.

Die Karelia-Suite und die Tondichtun­g „Finlandia“von Sibelius sowie die kaum je in unseren Breiten zu hörenden „Symphonisc­hen Tänze“, op. 64, von Grieg waren maßgeschne­iderte Markenarti­kel mit ambitionie­rtem Schnitt und passgenau elegantem Sitz.

Dass das durch seinen Sitz „nördlichst­e Orchester Europas“als Solisten einen Spitzentro­mpeter des venezolani­schen „El Sistema“auf seine Reise nach Salzburg und – am Samstag – nach Wien mitnimmt, ist ein schönes Zeichen globaler Vernetzung. Dirigent Lindberg hatte in Venezuela einen Posaunenku­rs gegeben ( wo er sich, wie er erzählte,

be- nicht ein paar Meistersch­ülern, sondern 140 Jungposaun­isten gegenübers­ah) und war dort auf Pacho Flores aufmerksam geworden. Flores nahm zum Einstand – vor Haydn, Tartini und dem Konzert „Akbank Bunka“von Lindberg – den einsätzige­n Parforceri­tt des armenische­n Komponiste­n Alexander Arutjunjan in Angriff: gleißende Virtuositä­t versus herbsüß schmeichel­nde Melodik. Das konnte nichts anderes als Entzücken (und eine schier atemlos machende Zugabe) hervorrufe­n.

Konzert:

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BILD: SN/ARCTIC ORCHESTRA/YNGVE OLSEN SÆBBE Ein Orchester stürmt in Richtung traditions­reicher Musikzentr­en.

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