Plazenta hilft, Krankheiten zu lindern
Eine israelische Biotech-Firma gewinnt aus Mutterkuchen Stammzellen für Medikamente und erzielt in Kooperation mit der Berliner Universitätsklinik Charité verblüffende Ergebnisse.
In der Industriestadt Haifa befindet sich das Herz einer der erfolgreichsten Biotech-Firmen Israels: Im rund 40 Quadratmeter großen Zimmer stehen mehrere Maschinen aus glänzendem Edelstahl – Bioreaktoren, in denen Stammzellen aus Mutterkuchen unter standardisierten Bedingungen herangezüchtet werden. Sie sollen eines Tages verschiedene Krankheiten wie Raucherbeine, Schlaganfälle, Darmkrankheiten oder Blutkrebs lindern – oder gar heilen. Das ist ein Markt, der Milliarden wert ist. Die Firma Pluristem will laut Generaldirektor Yaki Yanay diese Gewinne mit einem Stoff machen, den Mediziner als „biologischen Abfall“bezeichneten: die Nachgeburt. „Üblicherweise wird die Plazenta nach der Geburt entsorgt. Man hielt sie für ein totes, nutzloses Organ. Diese Ansicht mussten wir erst einmal widerlegen“, erzählt Yanay.
Lange galten embryonale Stammzellen als heiliger Gral der Forschung, weil die omnipotent sind, also die Fähigkeit haben, sich unbegrenzt zu teilen, jedes Gewebe im Körper nachzubilden und jeden biologischen Stoff zu produzieren. Doch sie haben auch Nachteile: Zum einen „ist es sehr schwer, diese Zellen zu kontrollieren, sie in die richtige Richtung zu bugsieren, damit sie sich zu dem entwickeln, was man will“, sagt Yanay. Wegen ihres Fortpflanzungsvermögens besteht auch eine theoretische Krebsgefahr. Zudem ist es ethisch und praktisch schwer, an genügend embryonale Stammzellen heranzukommen, um damit Hunderttausende Menschen zu erschwinglichen Preisen zu behandeln. Yanays Firma will all diese Probleme umgehen, und zwar mit Stammzellen aus dem Mutterkuchen, jenem Gewebe, das bislang einfach weggeworfen wurde. Dank eines patentierten Verfahrens genügen der Firma fünfzehn Nachgebur- ten von geplanten Kaiserschnitten im Jahr, um rund 150.000 Ampullen mit jeweils 300 Millionen dieser Stammzellen herzustellen.
Die sind älter als embryonale Stammzellen und haben deswegen nicht dieselben Fähigkeiten: Sie können nur eine begrenzte Anzahl von Botenstoffen herstellen und sich nur zu einer kleinen Zahl von Zelltypen entwickeln. Ihre Lebensdauer ist begrenzt: Nach 40 Teilungen leidet ihre Funktionsfähigkeit. Doch all das erweist sich als Vorteil: „Sie nisten sich nicht im Körper ein, wie man es in Therapien früher anstrebte, sondern sterben nach drei bis vier Wochen ab. Damit gibt es keinerlei Krebsgefahr“, sagt Yanay.
Im Bioreaktor werden die Stammzellen auf rauen Plättchen in freier Lösung gezüchtet. Zudem wird jeder Aspekt des Zellwachstums, vom Sauerstoffgehalt des Mediums bis zu den Wachstumshormonen, kontrolliert. Es werden nicht nur gewaltige Mengen produziert, sondern auch stets das exakt identische biologische Endprodukt.
„Das ist vielleicht der größte Vorteil“, sagt Tobias Winkler, Orthopäde und Unfallchirurg an der Charité in Berlin, der seit acht Jahren mit Pluristem Stammzellen im klinischen Alltag erprobt. „Als Arzt will man genau wissen, was man seinem Patienten verabreicht“, sagt Winkler. Die Ergebnisse dieser Experimente in der Charité haben Winkler „sehr überrascht“. Er spritzte Patienten, denen ein neues Hüftgelenk eingesetzt wurde, Stammzellen, um die Muskelheilung zu beschleunigen. Sechs Monate nach dem Eingriff waren die Muskeln um ein Vielfaches dicker und stärker: „Muskeln stabilisieren das Gelenk“, erklärt Winkler. So könnten die Erholung bedeutend verbessert, Komplikationen vermieden werden.
Eine andere Indikation ist die arterielle Verschlusskrankheit, auch als Raucherbein bekannt. In fortgeschrittenen Stadien sterben rund 40 Prozent der Kranken innerhalb eines Jahres oder müssen sich einer Amputation unterziehen. Ihre Behandlung ist kostspielig: „So in der Größenordnung von 50.000 Dollar im Jahr“, sagt Yanay. Doch vielleicht bald nicht mehr: In den USA wurde eine Studie über die Behandlung von Raucherbeinen mit einer anderen Zelllinie von Pluristem vorzeitig abgebrochen, weil die Ergebnisse zu gut waren. Die Risiken sanken um 59 Prozent, Wunden heilten, Schmerzen verschwanden. Dabei kostet die Behandlung nur die Hälfte bisheriger Therapien. Die Forscher hielten es für moralisch unvertretbar, der Kontrollgruppe das neue Wundermittel vorzuenthalten.
Doch genau dieses Wort lässt Winkler aufspringen: „Vor dem Ausdruck Wunderwaffe will ich warnen“, sagt er. Denn damit gefährde man dieses effiziente Instrument. „Ich fände es schlimm, wenn jetzt ein Hype entstünde. Man darf Stammzellen nicht unkritisch in Fällen verwenden, in denen es keine wissenschaftlichen Gründe gibt.“Doch selbst der kritische Arzt spricht von einer „neuen Art der Medizin“: Abgesehen vom kurzfristigen Schmerz des Nadelstichs tauchten bis jetzt keine Nebenwirkungen auf. Und überraschenderweise wirken die Zellen nicht nur dort, wo sie gespritzt werden, sondern im ganzen Körper: „Sie schaffen das richtige Umfeld, damit sich die körpereigenen Zellen besser erholen können“, erklärt Yaki Yanay.
„Man hielt die Plazenta für nutzlos.“