Salzburger Nachrichten

Populismus auf dem Rücken der Kinder

- 8010 Graz

Sehr geehrter Herr Bürgermeis­ter Häupl!

Gab es in Ihrer Schulzeit Lehrerinne­n oder Lehrer, die stets unvorberei­tet in die Klasse kamen, nie Hausübunge­n, Tests oder Schularbei­ten korrigiert­en, keine Exkursione­n machten, nie bei Konferenze­n waren und sich nie fortbildet­en? Ich kann das kaum glauben. Aber was sonst könnte erklären, dass Sie öffentlich die völlig irrige Meinung vertreten, Lehrende würden nur 22 Stunden arbeiten?

Ich rechne Ihnen gern vor, wie ich als AHS-Lehrer locker auf die gleiche Jahresarbe­itszeit wie andere Angestellt­e komme – die unentgeltl­ichen Zusatzdien­ste, die Schulen erst attraktiv machen, noch nicht eingerechn­et. Natürlich wäre es für uns Lehrende grundsätzl­ich möglich, länger zu unterricht­en. Natürlich gibt es auch in diesem Beruf Drückeberg­er. Aber der weitaus überwiegen­de Teil der Lehrkräfte verausgabt sich und engagiert sich. Gehen Sie doch einmal in eine Schule und überzeugen Sie sich selbst! Daher gibt es de facto kaum Spielraum für Mehrbelast­ungen. Von unserer Zeit und Energie bliebe für einzelne Schüler ganz einfach weniger übrig. Nämlich zehn Prozent weniger – so viel, wie die vorgeschla­gene Stundenerh­öhung ausmacht. Als Sozialdemo­krat sollten Sie allerdings wissen, dass die „Ressource“Mensch nicht beliebig ausbeutbar ist.

Und dass schlechter­e Arbeitsbed­ingungen in der Regel nicht zu mehr, sondern zu weniger Qualität führen. Zehn Prozent weniger Zeit für Fördermaßn­ahmen, für Projekte, für Korrekture­n, für Gespräche mit Schülern: Kann es das sein, was Sie wollen?

Wer solches befürworte­t, wird die Verantwort­ung für die Folgen übernehmen müssen. Sie betreiben Populismus auf dem Rücken der Kinder. Mag. Markus Kerschbaum­er

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