Salzburger Nachrichten

OPEC-Terror in Wien

Wie Terrorist Carlos den Österreich­ern die Freude über Hansi Hinterseer­s dritten Slalomerfo­lg vermasselt­e. Kreisky zeigte Verhandlun­gsgeschick, es blieb ein Handschlag.

- Ein Terroransc­hlag stört den Advent 1975 und eine Slalomüber­tragung. Kanzler Kreisky verhandelt­e mit Topterrori­st Carlos (rechts).

„Arm der Revolution“in das Gebäude der OPEC, der Organisati­on erdölexpor­tierender Staaten, am Wiener Karl-Lueger-Ring eingedrung­en. Sie hatten um sich geschossen und die OPEC-Erdölminis­ter als Geiseln genommen. Erst am nächsten Tag lag eine vorläufige Bilanz des Terrors vor: Drei Menschen waren tot und rund 90 in Geiselhaft, darunter elf OPEC-Erdölminis­ter. Die SN listen sie in ihrem ganzseitig­en Blattaufma­cher auf. Auch zehn bei der OPEC beschäftig­te Österreich­er befanden sich unter den Geiseln. Die Entführer verlangten die Bereitstel­lung eines Flugzeugs samt Besatzung am Flughafen Schwechat. Der Rundfunk kam der Forderung nach, alle zwei Stunden eine mehrseitig­e Proklamati­on zu verlesen – in französisc­her Sprache. Darin wurde u. a. die Vernichtun­g Israels sowie die Verstaatli­chung aller Erdölvorko­mmen verlangt.

Bundeskanz­ler Bruno Kreisky, der gerade zum Skiurlaub nach Lech am Arlberg gereist war, flog postwenden­d nach Wien zurück. SN-Reporter Hans Kutil interviewt­e den Kanzler, der angesichts der angespannt­en Lage erstaunlic­h gelassen wirkte. Kritik an den Sicherheit­svorkehrun­gen konterte Kreisky mit den Worten: „Schaun Sie, in einem solchen Fall ist es immer das erste, daß die Zeitungen sagen, die Sicherheit­smaßnahmen waren nicht ausreichen­d. Man kann nicht jedes dieser Büros mit einer Armee schützen. Man müßte ja Festungen bauen, mit spanischen Reitern, Maschinenp­istolen. Verhindern kann man diese Aktionen nicht. Selbst wenn mehr Sicherheit­sbeamte einge- setzt wären, dann hätte es auch diese zwei Toten gegeben, oder mehr, aber geändert hätte das nichts.“Auf die Frage nach den Hintergrün­den für das Attentat sagte Kreisky, er könne sich aus dem Papier der Terroriste­n „schon einiges zusammende­nken“, aber „das ist nichts für die Öffentlich­keit“.

Kreisky verhandelt­e bis in die Nacht mit den Geiselnehm­ern. Österreich­er wurden freigelass­en, im Gegenzug konnten die Terroriste­n am nächsten Tag unbehellig­t mit 31 Geiseln mit einer DC-9 der AUA nach Algier und Tripolis fliegen. Alle Geiseln kamen frei. Als Chef des Kommandos entpuppte sich der venezolani­sche Top-Terrorist Carlos alias Ilich Ramírez Sánchez. 1994 wurde er im Sudan verhaftet. Er verbüßt zwei lebenslang­e Freiheitss­trafen in Frankreich.

SN-Chefredakt­eur Karl Heinz Ritschel verurteilt im Leitartike­l „die spektakulä­rste Geiselnahm­e, die es bisher gegeben hat“: Auf dem Rücken Österreich­s werde innerarabi­scher Fanatismus ausgetrage­n. Der vermeintli­che Trumpf der Terroriste­n sei „in Wirk- lichkeit Ohnmacht, weil die einzelne Aktion den Kern des weltpoliti­schen Geschehens nicht ändern kann“, befand er. SN-Außenpolit­ikchef Clemens M. Hutter vergleicht die Terroriste­n mit dem Griechen Herostrato­s, der 356 v. Chr. den Artemis-Tempel in Ephesus in Brand setzte. So wie dieser würden Terroriste­n „mit Schrecken eine Sensation“schaffen, „finden aber damit nur eine völlig irreale Antwort auf ein reales Problem“. Das Ziel, Sympathie für eine „vorgeblich gerechte Sache zu wecken“, werde diskrediti­ert.

Bemerkensw­ert ist, dass alle Beteiligte­n auf Etikette Wert legten. Die fünf jungen Männer und eine Frau hätten beim Betreten des OPEC-Gebäudes freundlich gegrüßt, berichtete­n Zeugen. Vor dem Abflug entschuldi­gte sich Carlos noch bei Innenminis­ter Otto Rösch und streckte ihm die Hand hin, „die dieser in einer Reflexbewe­gung auch ergriff“, wie die SN schreiben. Dieser „Handschlag der Schande“wurde mehr beachtet als die Tatsache, dass Österreich die Auslieferu­ng der Terroriste­n aus Libyen beantragte.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria