OPEC-Terror in Wien
Wie Terrorist Carlos den Österreichern die Freude über Hansi Hinterseers dritten Slalomerfolg vermasselte. Kreisky zeigte Verhandlungsgeschick, es blieb ein Handschlag.
„Arm der Revolution“in das Gebäude der OPEC, der Organisation erdölexportierender Staaten, am Wiener Karl-Lueger-Ring eingedrungen. Sie hatten um sich geschossen und die OPEC-Erdölminister als Geiseln genommen. Erst am nächsten Tag lag eine vorläufige Bilanz des Terrors vor: Drei Menschen waren tot und rund 90 in Geiselhaft, darunter elf OPEC-Erdölminister. Die SN listen sie in ihrem ganzseitigen Blattaufmacher auf. Auch zehn bei der OPEC beschäftigte Österreicher befanden sich unter den Geiseln. Die Entführer verlangten die Bereitstellung eines Flugzeugs samt Besatzung am Flughafen Schwechat. Der Rundfunk kam der Forderung nach, alle zwei Stunden eine mehrseitige Proklamation zu verlesen – in französischer Sprache. Darin wurde u. a. die Vernichtung Israels sowie die Verstaatlichung aller Erdölvorkommen verlangt.
Bundeskanzler Bruno Kreisky, der gerade zum Skiurlaub nach Lech am Arlberg gereist war, flog postwendend nach Wien zurück. SN-Reporter Hans Kutil interviewte den Kanzler, der angesichts der angespannten Lage erstaunlich gelassen wirkte. Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen konterte Kreisky mit den Worten: „Schaun Sie, in einem solchen Fall ist es immer das erste, daß die Zeitungen sagen, die Sicherheitsmaßnahmen waren nicht ausreichend. Man kann nicht jedes dieser Büros mit einer Armee schützen. Man müßte ja Festungen bauen, mit spanischen Reitern, Maschinenpistolen. Verhindern kann man diese Aktionen nicht. Selbst wenn mehr Sicherheitsbeamte einge- setzt wären, dann hätte es auch diese zwei Toten gegeben, oder mehr, aber geändert hätte das nichts.“Auf die Frage nach den Hintergründen für das Attentat sagte Kreisky, er könne sich aus dem Papier der Terroristen „schon einiges zusammendenken“, aber „das ist nichts für die Öffentlichkeit“.
Kreisky verhandelte bis in die Nacht mit den Geiselnehmern. Österreicher wurden freigelassen, im Gegenzug konnten die Terroristen am nächsten Tag unbehelligt mit 31 Geiseln mit einer DC-9 der AUA nach Algier und Tripolis fliegen. Alle Geiseln kamen frei. Als Chef des Kommandos entpuppte sich der venezolanische Top-Terrorist Carlos alias Ilich Ramírez Sánchez. 1994 wurde er im Sudan verhaftet. Er verbüßt zwei lebenslange Freiheitsstrafen in Frankreich.
SN-Chefredakteur Karl Heinz Ritschel verurteilt im Leitartikel „die spektakulärste Geiselnahme, die es bisher gegeben hat“: Auf dem Rücken Österreichs werde innerarabischer Fanatismus ausgetragen. Der vermeintliche Trumpf der Terroristen sei „in Wirk- lichkeit Ohnmacht, weil die einzelne Aktion den Kern des weltpolitischen Geschehens nicht ändern kann“, befand er. SN-Außenpolitikchef Clemens M. Hutter vergleicht die Terroristen mit dem Griechen Herostratos, der 356 v. Chr. den Artemis-Tempel in Ephesus in Brand setzte. So wie dieser würden Terroristen „mit Schrecken eine Sensation“schaffen, „finden aber damit nur eine völlig irreale Antwort auf ein reales Problem“. Das Ziel, Sympathie für eine „vorgeblich gerechte Sache zu wecken“, werde diskreditiert.
Bemerkenswert ist, dass alle Beteiligten auf Etikette Wert legten. Die fünf jungen Männer und eine Frau hätten beim Betreten des OPEC-Gebäudes freundlich gegrüßt, berichteten Zeugen. Vor dem Abflug entschuldigte sich Carlos noch bei Innenminister Otto Rösch und streckte ihm die Hand hin, „die dieser in einer Reflexbewegung auch ergriff“, wie die SN schreiben. Dieser „Handschlag der Schande“wurde mehr beachtet als die Tatsache, dass Österreich die Auslieferung der Terroristen aus Libyen beantragte.