Sofortmaßnahmen gegen den Horror
Nur spürbare Verbesserungen in Krisen- und Kriegsstaaten werden den Strom der Flüchtlinge vermindern. Vorerst muss die EU das Schlimmste verhindern.
Viel zu lang hat Europa diese Katastrophe aus dem eigenen Blickfeld geschoben. Doch die immer drastischeren Flüchtlingstragödien im Mittelmeer setzen die EU-Staaten massiv moralisch unter Druck. Das Mittelmeer sei zur „weltweit tödlichsten Route“für Flüchtlinge geworden, sagt UNO-Chef Ban Ki Moon. Einen derart vehementen Vorwurf kann eine Union, die sich humanitären Grundsätzen verschrieben hat, nicht mehr wegwischen.
Niemand sollte sich Illusionen machen, dass sich ein so komplexes Problem wie das der wachsenden Wanderung von Menschen rasch lösen ließe. Aber es ist auch nicht so, als stünden die EU-Staaten dieser Entwicklung ohnmächtig gegenüber. Sie müssen aber ihren Kurs in der Flüchtlingsfrage ändern.
Die wichtigste Sofortmaßnahme muss jetzt sein, mit vereinten europäischen Kräften eine effiziente Mission zur Rettung aus Seenot zu starten. Es war ein Fehler, die bis vor die libysche Küste reichende Mission „Mare Nostrum“der italienischen Marine auslaufen zu lassen und durch die Operation „Triton“unter EU-Ägide zu ersetzen. Denn sie diente vor allem der Abschottung des Kontinents vor weiteren Flüchtlingswellen. Sie hat nicht Menschen gerettet, sondern Grenzen gesichert.
Man hat argumentiert, dass ein umfassendes Programm zur Seenotrettung nur weitere Flüchtlinge anziehen und vor allem den Schleppern in die Hände spielen würde, die mit der Verzweiflung der fliehenden Menschen ihr Geschäft machen. Die jüngste dramatische Entwicklung im Mittelmeer verweist aber darauf, dass dieser Sogeffekt nicht so stark ist wie befürchtet.
Zweitens gilt es jetzt, den Schleuserbanden das Handwerk zu legen und dafür die Lage in Libyen zu stabilisieren. Denn die Menschenhändler nützen das politische Chaos in diesem Transitland für ihr kriminelles Treiben aus. Nach dem Sturz von Diktator Gadafi 2011 ist es versäumt worden, dort die Milizen aufzulösen und die Waffen einzusammeln. Jetzt sollte die EU mit internationalem Druck versuchen, eine nationale Regierung auf die Beine zu stellen, um einen Zerfall des Landes zu verhindern.