Die absehbare Katastrophe im Mittelmeer
Die EU war in der Flüchtlingspolitik zu lang untätig. Auch die Kommission hat zuletzt zu wenig Druck gemacht.
Die jüngste und bisher größte Flüchtlingstragödie im Mittelmeer ist schockierend, sie kam aber nicht überraschend. Gewarnt wurde davor, seitdem die italienische Rettungsmission Mare Nostrum beendet und durch die Mission Triton ersetzt wurde. Sie ist eine reine Grenzschutz- und keine Rettungsmission und operiert längst nicht so weit zur libyschen Küste hin wie Mare Nostrum. Patrouilliert wird nur bis knapp vor der italienischen Küste.
Kritik gab es schon beim Start von Triton, vor allem von Menschenrechtsorganisationen und dem EU-Parlament. Was die Kommission dazu sagt, ist freilich richtig: Die Aufgaben der Grenzschutzagentur Frontex können nur mit Einverständnis der Mitgliedsstaaten ausgeweitet werden. Bis jetzt gab es aber weder die finanziellen Ressourcen noch die politische Unterstützung für eine echte Rettungsmission.
Die Kommission gibt den Vorwurf der Untätigkeit an die Mitgliedsstaaten weiter. Zum Großteil berechtigt. Was sich die Kommission selbst vorwerfen lassen muss, ist allerdings, zu wenig Druck auf die Staaten ausgeübt zu haben. Denn die Argumente gegen eine EU-Rettungsmission im Mittelmeer sind zynisch. Die Toten im Mittelmeer wurden – krass ausgedrückt – in Kauf genommen, weil sie eine abschreckende Wirkung haben. Immer wieder hört man in EU-Kreisen davon, dass Schlepper bewusst seeuntaugliche Boote auf den Weg nach Europa schicken, weil sie mit der Rettung der Flüchtlinge spekulieren. Mehr Rettungsboote könnten das Geschäft der Schlepper daher erst recht anheizen, so das Argument.
Flüchtlinge sollten sich gar nicht erst auf den gefährlichen Weg nach Europa machen, lautet das Ziel vieler Mitgliedsstaaten – auch von Österreich. Die Rede ist von Flüchtlingszentren in Nordafrika, wo Asylanträge geprüft werden können. Die Idee ist umstritten. Die EU wälze die Verantwortung auf Nordafrika ab, sa- gen Kritiker. Völlig unklar ist, wie diese Zentren aufgebaut werden und ob den Flüchtlingen dort jene Betreuung und auch jene Verfahren zukommen können, die ihnen aufgrund der Menschenrechte zustehen.
Auch die logische Folgefrage ist ungelöst: Was passiert mit Flüchtlingen, die Anspruch auf Asyl haben? Wie viele dürfen mit positivem Bescheid nach Europa kommen und in welche Länder? Debatten über einen Aufteilungsschlüssel ziehen sich seit Jahren. Die Pläne, Flüchtlinge an der Überfahrt zu hindern, stehen am Anfang. Das Mittelmeer bleibt bis auf Weiteres der einzige Weg für Schutzsuchende nach Europa – und Schlepper werden sich diese Tatsache weiter zunutze machen. Zumindest kurzfristig muss die EU daher eine Rettungsmission einsetzen, sonst sind weitere Katastrophen absehbar.
STEPHANIE.PACK@SALZBURG.COM