Das Transitland Libyen ist ein zerfallender Staat
Jedes Problem hat seine Vorgeschichte: Bei der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer begann diese spätestens vor vier Jahren. Im Februar 2011 drohte der libysche Machthaber Muammar al-Gadafi den Europäern: Sollten sie die Proteste gegen ihn unterstützen, werde er die Schleusen für Flüchtlinge aus Afrika aufmachen.
Die EU-Außenminister reagierten auf diese Drohung empört. Aber der damalige maltesische Außenminister Tonio Borg warnte, dass man Gadafis Drohung sehr ernst nehmen müsse, denn Libyen sei das Schlüsselland für den Weg afrikanischer Flüchtlinge in die EU. Weniger als 500 Kilometer trennen Tripolis von Sizilien, bis zur italienischen Insel Lampedusa sind es 300 Kilometer.
Heute bestätigt sich Borgs Warnung. Denn nach Angaben der EU-Grenzschützer startet ein Großteil der Flüchtlinge, die aus dem Mittelmeer aufgefangen werden, ihre Überfahrt von der libyschen Küste aus. Der deut- sche Innenminister Thomas de Maizière berichtete am Montag im CDU-Bundesvorstand, dass in Libyen rund eine Million Menschen auf die Überfahrt warte.
Dies hat mit Gadafi zu tun: 2011 entschloss sich eine westliche Militärallianz, die von Frankreich und Großbritannien angeführt wurde, zum Sturz des langjährigen Machthabers. Die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel des Landes in Nordafrika erfüllte sich nicht. Seither versinkt das Land im Chaos und zerfällt in viele Einzelteile unter Kontrolle verschiedener Milizen – darunter der Extremistenmiliz „Islamischer Staat“(IS). Damit ist ein ideales Umfeld für Schlepperbanden entstanden.
Mit dem Sturz Gadafis endete auch die Praxis, die der Europäischen Union lange Zeit eine sichere Südgrenze und Kritik von Hilfsorganisationen eingetragen hatte. Denn in einem Vertrag mit der EU hatte sich Libyen verpflichtet, Flüchtlinge in Auffanglagern zu sammeln, sie nicht in Boote zu lassen und sie in ihre Heimatländer zurückzuschicken.