Salzburger Nachrichten

Denker, Demagoge und das verführbar­e Volk

Wie ein Ensemble von Theater-Zauberern die Geschichte von Moses und Aron zu einem singulären Ereignis macht.

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Wer hätte das gedacht? Da steckt doch wirklich in Arnold Schönbergs gewaltigem Torso „Moses und Aron“(der gleichwohl so vollendet ist wie Schuberts „Unvollende­te“) ein Stück zaubrische­r Komik und komischen Zaubers. Chuzpe! Es brauchte vielleicht den jüdisch-australisc­h-Wien-Berliner Regisseur Barrie Kosky, den umfassends­ten „Entertaine­r“des gegenwärti­gen Musiktheat­ers, um diese Schicht mit fasziniere­nder Behutsamke­it und großem Ernst freizulege­n. Seine lang geplante, lang erwartete Inszenieru­ng an der Komischen Oper Berlin, die Kosky seit drei Jahren mit rauschende­m Erfolg leitet, hatte am Sonntag Premiere: Am Ende gab es 15 Minuten Ovationen für eine Aufführung von weltstädti­schem Format.

Seine Protagonis­ten, den Denker Moses, der das Volk allein durch die Reinheit des (Gottes-)Wortes überzeugen will, und seinen Bruder Aron, der dieses „Wort“in Bilder übersetzt, denen die verführbar­en Massen wie im Rausch, aber auch in Zank und Hader erliegen, leitet Kosky, so kühn wie schlüssig, von Becketts „Warten auf Godot“, von Vladimir und Estragon, her: „reisende Vaudeville-Clowns, die genauso suchen und warten wie Moses und Aron“, wie der Regisseur erklärt.

Wenn aus dem Stab des Moses, dem Zepter strenger Regentscha­ft, die Schlange wird, die bewegliche Verführung, wenn die zehn biblischen Plagen über das Volk kommen, wenn sich Wasser in Blut verwandelt, wenn das Goldene Kalb angebetet wird (hier konsequent­erweise Hollywood-Berliner Revuegirls à la Josephine Baker mit Feder- putz, mit einem Kinematogr­afen gefilmt von Figuren mit großen Sigmund-Freud- und Theodor-HerzlMaske­n), dann entfesselt Regisseur Kosky ein atemberaub­endes Pandämoniu­m der Sinne. Wo er aber sonst gern übertreibt, bleibt er hier weitgehend stringent in der Erzählung, streng in der Ordnung.

Klaus Grünberg hat dafür einen neutralen Ort geschaffen, mit tief liegender Decke mit zehn kreisrunde­n Oberlichte­n (was akustisch fabelhafte Wirkung macht) und einer nur andeutungs­weise sichtbaren Treppe, von der aus die Massen den Raum im Nu fluten.

Was für Massen! Die Chöre der Komischen Oper haben unter der Leitung von David Cavelius in hundert Proben die Partitur so grandios abrufberei­t und selbstvers­tändlich erarbeitet, dass sie zugleich frei sind für eine Beweglichk­eit und Ein- dringlichk­eit des Spielens, wie man dies so vital und plastisch noch selten gesehen hat. Der Regisseur entzündet daran seine besten Fantasien. Das hat ein Niveau, das große Häuser beschämen muss. Dasselbe muss man von der Orchesterl­eistung sagen, die wie das Gesamte nicht denkbar ist ohne die sagenhafte Souveränit­ät des Dirigenten Vladimir Jurowski. Er zaubert wie mühelos einen fantastisc­h facettenre­ichen Klang, der selbst in der größten Wucht feinsten Schimmer und verführeri­sche Leichtheit besitzt. Das ist ein Schönberg, wie neu zu hören.

Robert Hayward als Moses (der seine Deklamatio­n sehr sanglich grundiert) und John Daszak als brillanter Taschenspi­eler und Demagoge Aron: Sie passen perfekt in eine Aufführung, die zu den bedeutends­ten der Saison zu zählen ist.

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BILD: SN/KOB/RITTERSHAU­S Volk und einsamer und Aron“. Rufer: „Moses

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