In Mailand sprießen die Wolkenkratzer
In der EXPO-Stadt wächst neue Architektur in den Himmel. Ein Viertel verändert die Skyline, doch mancher Wachstumsschub polarisiert.
Die neuen Zwillingstürme im Mailänder Stadtviertel Porta Nuova heißen Bosco Verticale (vertikaler Wald). Denn rund 800 Bäume und mehrere Tausend Pflanzen wachsen an den Gebäuden. In Mailand erntete das Projekt Lob wie Spott. Wenn Architektur mit der Ästhetik ihrer Nachbarschaft bricht, ist für Konfliktstoff gesorgt. Aber die Fachwelt war angetan: 2014 verlieh eine Jury den Internationalen Hochhauspreis an die dicht sprießenden Hochhäuser. Ob eine Stadt als Metropole wahrgenommen wird, entscheidet sich an ihrer Architektur. Mailand, wo am 1. Mai die EXPO eröffnet wird, wuchs in den vorigen Jahrzehnten stetig in die Weite, allerdings nicht in die Höhe. Der gotische Dom prägt das Stadtbild. Doch nun setzen gleich zwei Großprojekte markante Konturen in die Skyline. Mit Porta Nuova und CityLife will sich Mailand ein Stück weit neu erfinden.
Der Kopf rutscht in den Nacken, der Blick findet erst nach 231 Metern seinen Halt – an der Antennenspitze des Torre Unicredit, dem höchsten Punkt von Porta Nuova. Am Bahnhof Porta Garibaldi empfängt Mailand mit futuristischer Grandezza. Das hier seit 2005 entstehende und inzwischen fast fertige Wohn-, Geschäfts- und Erlebnisviertel soll einmal ein neues Stadtzentrum werden. Mehr als 20 Architekten aus acht Ländern haben hier auf mehr als 290.000 Quadratmetern aus viel Glas, Stahl und Beton ein Mailand erschaffen, das es so bis dato nicht gegeben hat. Nur wenige Gebäude ragten aus Mailands Sil- houette heraus. Die Moderne kam allenfalls mit Einzelelementen wie dem Neubau der Universität Bocconi nach Mailand. Dabei zählt die Stadt das Design zu ihrem Wesenskern und hätte demnach einen Motor zur ständigen Erneuerung.
„Wir haben zum einen in Italien eine architektonische Kultur, die eher auf das Konservieren und Ersetzen ausgerichtet ist“, sagt die Architektin Patricia Viel, Partnerin in einem renommierten italienischen Architekturbüro. „Zum anderen fehlt es im Land schlicht am Geld für Großinvestitionen.“Die Entstehung von Porta Nuova etwa steuerte der US-Projektentwickler Hines.
„Italiens architektonische Kultur richtet sich eher auf das Konservieren aus.“
Im Februar übernahm dann der katarische Staatsfonds Qatar Investment Authority alle Anteile. In Zusammenhang mit der Weltausstellung EXPO (1. Mai bis 31. Oktober) stehen die Großprojekte nicht. Als Mailand 2008 den Zuschlag für die Ausrichtung bekam, waren sie bereits konzipiert. Aber die EXPO hat die Prozesse beschleunigt.
„Mailand wurde im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört und danach leider nicht sehr vorteilhaft wieder aufgebaut“, sagt Patricia Viel. „Es mangelt an öffentlichen Gärten, Parks und großen, urbanen Plätzen.“Nun soll dieser Makel korrigiert werden. Porta Nuova ist durchzogen von Fußgängerzonen. Auf der zentralen Piazza Gae Aulen- ti treffen sich die Mailänder am Wochenende zum Flanieren. Und wo künftig ein Park ergrünen soll, wächst ein temporäres Getreidefeld – eine Installation der US-Konzeptkünstlerin Agnes Denes.
Auch CityLife wird einmal zur knappen Hälfte von Parkflächen bedeckt sein. Zurzeit ist das Areal des ehemaligen Messegeländes aber noch eine Großbaustelle. Doch die südliche Flanke des Viertels wurde bereits verwirklicht. Dort stehen sich zwei luxuriöse Wohnkomplexe gegenüber, gestaltet von Zaha Hadid und Daniel Libeskind. „60 Prozent der Wohneinheiten sind verkauft – und zwar fast ausschließlich an Italiener“, sagt Giorgio Lazzaro, der Marketing- und Kommunikationsdirektor von CityLife, bei einer Führung durch die von Sicherheitszäunen umriegelte Residenz Hadid. Die Quadratmeterpreise liegen hier zwischen 6500 und 10.500 Euro.
Vom Penthouse aus lässt sich die Gestaltung des rund 366.000 Quadratmeter großen Geländes bereits erahnen. Einer der drei geplanten Bürotürme reckt sich 202 Meter hoch in den Himmel. Damit ist der Torre Isozaki das derzeit höchste Gebäude Italiens. Rund 3800 Menschen werden auf den 50 Etagen für ein Versicherungsunternehmen arbeiten. Bis 2017 sollen auch die Wolkenkratzer von Hadid und Libeskind realisiert sein.