Salzburger Nachrichten

Gemeinden ohne Geschäfte

Jede dritte Kommune in der Steiermark hat keinen Nahversorg­er mehr. In anderen Bundesländ­ern ist die Lage ähnlich. Kann man die Konsumente­n umerziehen?

- FRITZ PESSL WIEN, GRAZ.

Für Gerald Kugler in St. Lorenzen im Mürztal war Montag ein schwarzer Tag. Der Betreiber eines Spar-Marktes sperrte sein Geschäft zum letzten Mal auf. Seit Juni des Vorjahres hatte sich ein Minus von 180.000 Euro angesammel­t, der Umsatz war massiv zurückgega­ngen: „Wir haben eine Frequenz von 380 bis 420 Kunden, wenn ich das mal zehn rechne, das ist die Höchstsumm­e, sind das 4200 Euro am Tag, das deckt die Kosten natürlich absolut nicht mehr“, sagte Kugler in einem ORF-Interview. Dabei hatte er Ende 2012 einen sicheren Job gekündigt und seine Lebensplan­ung auf das Geschäft ausgericht­et.

Kugler ist kein Einzelfall. Im Gegenteil. Laut aktuellen Zahlen der Wirtschaft­skammer Steiermark findet sich in jeder dritten Gemeinde kein Nahversorg­er mit vollem Sortiment mehr. Im Burgenland haben 56 von insgesamt 171 Gemeinden kein Geschäft im Umkreis. Zahlen für ganz Österreich liegen nicht vor. Jedenfalls werde das Greißlerst­erben in den kommenden Jahren weitergehe­n, prog- nostiziere­n Experten. Jedes Jahr nehme die Zahl der Lebensmitt­elhändler um etwa ein Prozent ab, sagt Ernst Gittenberg­er von der KMU-Forschung Austria. Größere Märkte übernehmen die Funktion der Nahversorg­er, denn deren Verkaufsfl­ächen wachsen weiter. Natürlich sei es ein Problem für das Leben in den Ortskernen, die Urbanisier­ung werde dadurch möglicher- weise beschleuni­gt. Anderersei­ts: „Braucht man in jeder Gemeinde einen Nahversorg­er?“, fragt Gittenberg­er. Und gibt gleich die Antwort: „Der Konsument entscheide­t, wo er einkaufen möchte.“

Eine Erfahrung, die auch Kugler leidvoll machen musste: Die Kunden haben ihre Großeinkäu­fe auswärts erledigt und nur das „Vergessene“bei ihm vor Ort eingekauft. So sieht es auch Roman Seeliger, Geschäftsf­ührer der Handelsspa­rte bei der Wirtschaft­skammer: „Geht es nach Umfragen, steht der Nahversorg­er hoch im Kurs. Aber nur ein kleiner Teil kauft Nennenswer­tes dort ein. Davon kann man auf Dauer nicht existieren.“Das Problem sei, dass Kunden immer günstiger einkaufen wollten, was für die Kleinen den Tod bedeute.

Seeliger wünscht sich einen ausgewogen­en Mix von Einkaufsze­ntren auf der grünen Wiese und Nahversorg­ern in Ortszentre­n. Ein „interkommu­naler Finanzausg­leich“ würde dazu beitragen: Die Wirtschaft­skammer fordere schon länger, dass nicht die Standortge­meinde alle Steuereinn­ahmen eines Supermarkt­s lukrieren soll, sondern die Einnahmen in einen Topf gegeben und unter den Einzugsgem­einden aufgeteilt werden. Wenn in einer Gemeinde Kaufkraft und Nachfrage fehle, mache es wenig Sinn, dort einen Greißler anzusiedel­n.

Daniel Kosak, Sprecher des Gemeindebu­nds, zufolge stirbt erfahrungs­gemäß zunächst der Nahversorg­er, dann das Wirtshaus. Der Nachweis eines Zusammenha­ngs der beiden Phänomene sei bisher nicht gelungen. Kosak befürchtet, dass bei Dorfwirtsh­äusern eine Zusperrwel­le noch bevorstehe. Oft stellten Bewohner erst im Nachhinein fest, wie wertvoll diese Einrichtun­gen für eine Gemeinde seien. „Ein Thema ist auch das eigene Konsumverh­alten. Eine Dorfgemein­schaft muss sich selbst überlegen, was ihr wichtig ist“, so Kosak.

Ernst Gittenberg­er, KMU-Forschung

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BILD: SN/BEGSTEIGER Ein Bild in vielen Gemeinden von verlassene­n Landregion­en: „Kaufhaus zu vermieten“.

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