„Vitamin D hilft gegen Krebs“
Viele Krebspatienten möchten selbst zur Heilung beitragen. Zum Beispiel durch einen guten Vitamin-D-Spiegel oder besondere Diäten. Aber vieles ist schulmedizinisch umstritten.
Jutta Hübner von der Deutschen Krebsgesellschaft erläutert aus schulmedizinischer Sicht, was helfen und was sogar schaden kann. SN: Frau Doktor Hübner, Sie sprechen sich entschieden gegen Krebsdiäten aus, warum? Hübner: Die meisten dieser Diäten bestehen darin, dass sie die Ernährung anders zusammensetzen als das, was wir als eine ausgewogene Ernährung verstehen. Das heißt, es werden Nahrungsbestandteile weggelassen oder es wird etwas anderes überbetont. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht.
Zum Beispiel die kohlenhydratarme oder zuckerfreie Diät. Kohlehydrate wegzulassen bedeutet auch, ganz wenig Obst zu essen. Damit fehlen Vitamine und Pflanzenstoffe und es fehlen Ballaststoffe.
Wir wissen aber, dass diese Diäten das Tumorwachstum nicht hemmen. Das heißt, ich habe keinen Nutzen, sondern sogar einen Schaden, weil ich in eine teilweise Mangelernährung hineinkomme. SN: Der Volksmund sagt, man könne den Krebs aushungern. Das funktioniert nicht. Man kann den Körper in einen Energiemangel bringen. Aber der Körper versucht dann, alle Energiereserven zu mobi-
„Alles dem behandelnden Arzt sagen.“
lisieren, das heißt, er baut die Fettreserven ab und greift unter Umständen auch die Muskelmasse an.
Wir wissen, dass Krebspatienten, die dadurch stark an Gewicht verlieren, eine schlechtere Prognose haben, weil sich der gesamte Stoffwechsel ungünstig entwickelt. Das ist der Grund, warum wir vor solchen Krebsdiäten warnen. SN: Sehr vorsichtig sind Sie auch bei Mistelprodukten. Die Mistel regt das Immunsystem an. Nun gibt es bestimmte Krebsarten, die aus dem Immunsystem kommen, das sind die Leukämien und die sogenannten Lymphome. Zumindest theoretisch ist es daher denkbar, dass eine Misteltherapie das Wachstum dieser Tumoren anregen kann. Daher raten wir bei diesen beiden Krebsarten dringend von einer Misteltherapie ab. Dasselbe gilt für schwarzen Hautkrebs. SN: Sie empfehlen, jeder Patient solle seinem behandelnden Onkologen mitteilen, was er komplementärmedizinisch tut oder tun möchte. Viele scheuen sich aber davor, weil sie eine ablehnende Haltung des Schulmediziners befürchten. Wir wissen, dass viele Patienten nicht ganz so gute Erfahrungen machen, wenn sie das erste Mal versuchen, mit ihrem Facharzt darüber zu sprechen. Faktum ist aber auch, dass sehr viele Onkologen viel offener geworden sind und sich auch selbst bemühen, auf diesem schwierigen Gebiet fachkundig zu werden. Komplementäre Therapien sind ja bislang kein Teil ihrer Ausbildung. Aber die meisten Onkologen haben verstanden, dass das ihren Patienten wichtig ist.
SN: Wir gehen heute davon aus, dass ein guter Vitamin-D-Spiegel förderlich ist, sowohl vorbeugend gegen die Entstehung eines Tumors wie auch während einer Krebstherapie.
Die Feststellung, ob ich zu wenig Vitamin D habe oder ob ich zu wenig oder zu viel Selen habe, ist schulmedizinisch eindeutig. Das heißt, hier kann der Schulmediziner mit dem Instrumentarium arbeiten, das er kennt. Er bestimmt den Vitamin-D-Spiegel. Ist dieser zu niedrig, dann weiß er, er muss Vitamin D geben. Wie viel genau, kann er bei einer Kontrolle feststellen, und er weiß dann, wie er den Patienten weiter zu behandeln hat.
Selen ist noch nicht ganz so gut erforscht, aber auch hier wird die Einstellung positiver. Selen ist vermutlich wichtig als Schutz vor Krebs und es gibt erste Hinweise, dass Selen auch eine Krebstherapie unterstützen kann. Patienten sollten Selen aber nicht blind in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich nehmen. Denn zu viel kann genauso schaden wie zu wenig. SN: Viele Krebspatienten setzen auf eine homöopathische Begleitung. Sie bemängeln, dass es dazu keine Studien gebe. Homöopathen erwidern, diese Studien gebe es deshalb nicht, weil die Pharmaindustrie kein Interesse habe. Globuli bringen keinen Umsatz. Es ist richtig, dass die Pharmaindustrie solche Studien nicht in großem Umfang bezahlt. Allerdings glaube ich, dass man mit einer wissenschaftlich gut gemachten Studie in Deutschland auch ausreichend Fördergelder bekommen kann. Aber viele überzeugte Homöopathen tun sich eher schwer mit dem Konzept, was wir unter einer wissenschaftlichen Studie verstehen.
Es ist meines Erachtens durchaus legitim, wenn Homöopathie eingesetzt wird, um Nebenwirkungen einer Therapie – etwa Übelkeit und Erbrechen – zu lindern. Dagegen halte ich es für Scharlatanerie, wenn eine kleine Gruppe von Ho- SN: Das Argument ist, dass der Patient konstitutionell gestärkt werde und den Krebs leichter besiegen könne. Wir müssen aber davon ausgehen, dass Krebs eine sehr aggressive Erkrankung ist. In dem Moment, wo wir einen Tumor entdeckt haben, hat er es geschafft, die Balance zwischen Immunsystem und Tumorzellen auszuhebeln und die körpereigene Abwehr zu überwinden. Er hat sich immunologisch gleichsam unter einer Tarnkappe versteckt, sodass das Immunsystem ihn nicht mehr erkennen und bekämpfen kann. In diesem Stadium kann eine rein konstitutionelle Veränderung keine Heilung mehr erreichen.
Wir brauchen schulmedizinische Mittel, um die Tumorzellen so stark zu schädigen, dass das Immunsystem wieder wirken kann. Das große Ziel der Forschung ist derzeit, das Immunsystem lernfähig zu machen, sodass es die Krebszellen erkennt und nur diese bekämpft.