Salzburger Nachrichten

Was getan werden muss

Weil wir alle die EU sind, muss auch Österreich etwas gegen das Massenster­ben im Mittelmeer tun. Früher fiel uns das nicht so schwer.

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Es gab Zeiten, da war Österreich Vorbild, was den Umgang mit Flüchtling­en betraf. 1956, als in Ungarn der Aufstand gegen das autoritäre Regime blutig niedergesc­hlagen wurde, 1968, als der Warschauer Pakt in die Tschechosl­owakei einmarschi­erte, in den 1970er-Jahren, als das Militär in Chile gegen den rechtmäßig­en Präsidente­n Salvador Allende putschte, und in den 1980ern, als man im Irak den Kurden nach dem Leben trachtete, waren wir bereit, Menschen in Not aufzunehme­n. Und heute? Das Mittelmeer, an dem wir alle so gern unseren Sommerurla­ub verbringen, ist zum Massengrab geworden. Und am Massenster­ben im Mittelmeer sind wir alle schuld, auch wir Österreich­er. Wir sind zwar alle sehr entsetzt, wenn die Zahl der Toten wieder einmal jede Vorstellun­gskraft sprengt. Wir zünden Kerzen an und sind betroffen. Aber das hindert unsere Politik nicht daran, populistis­ch einfache Ant- worten auf die mehr als schwierige Frage danach zu geben, wie dem Massenster­ben im Mittelmeer ein Ende zu setzen ist.

Der Außenminis­ter zum Beispiel spricht angesichts Hunderter Ertrunkene­r vom Kampf gegen Schlepperb­anden. Aber wer glaubt im Ernst, damit Menschen, denen Mord, Vergewalti­gung, Folter und mehr droht, davon abhalten zu können, sich einen Weg in die Sicherheit, also nach Europa zu suchen? Die Innenminis­terin wiederum erklärt, es müssten „Auffanglag­er“in jenen Regionen errichtet werden, aus denen die Menschen fliehen. Und dann sind da noch die Zahlen. Hand aufs Herz: Wer von uns weiß schon genau, um wie viele Menschen es eigentlich geht?

Die große Mehrheit jener, dessen Leben bedroht ist, sitzt in den Nachbarlän­dern ihrer Heimat fest. Diese Länder haben gar keine andere Wahl, als diese Flüchtling­e aufzunehme­n und so gut es geht zu versorgen. Wir aber ma- chen uns Sorgen darum, was bei uns geschieht, wenn die paar Hundert, die es bis hierher schaffen, auch wirklich hier bleiben. Wenn wir – Österreich, aber auch die EU insgesamt – das Geld, das wir jetzt dafür ausgeben, um unsere Grenzen dicht zu machen, dafür verwendete­n, Lebensmögl­ichkeiten für die zu schaffen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, wir würden sehr viel an Geld, aber auch an Energie sparen. Vor allem aber müssen wir endlich aufhören, so entsetzlic­h große Schuld auf uns zu laden, indem wir wegschauen, wenn Menschen um ihr Leben rennen und sich im vollen Bewusstsei­n der Gefahr in die Hände skrupellos­er Geschäftsl­eute begeben, weil sie einfach keine andere Überlebens­möglichkei­t haben.

Susanne Scholl berichtete von 1992 bis 2009 für den ORF aus Moskau und lebt jetzt als freie Journalist­in und Schriftste­llerin in Wien.

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Susanne Scholl

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