Salzburger Nachrichten

Kann man mit Russland noch reden?

Kann es einen Dialog mit der derzeitige­n russischen Führung geben? Und wenn nicht: Was bleibt dann zu tun?

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Vor wenigen Tagen, am 8. Mai, war der russische Botschafte­r in Wien in das niederöste­rreichisch­e Städtchen Erlauf geladen. Es kamen auch die Kinder und Enkel des sowjetisch­en Generals Dritschkin, der vor 70 Jahren in Erlauf gemeinsam mit dem amerikanis­chen General Stanley Reinhart das Ende des Naziregime­s verkündete. Dritschkin­s Kinder leben in Kiew – ihr sowjetisch­er Vater war Ukrainer.

Als sie die Festrede des russischen Botschafte­rs hörten, versteiner­ten ihre Gesichter. Denn dieser sprach von „nie wieder Diktatur“und man konnte den Eindruck bekommen, als käme er gar nicht aus Russland, das gerade Krieg gegen die einstigen ukrainisch­en Brüder führt.

Wie kann man den Dialog mit Russland aufrechter­halten, wenn die derzeitige politische Führung sich das Geschehen in der Ukraine auf jede nur erdenklich­e Art und Weise zurechtlüg­t? Man kann nicht – aber einzelne Personen können. Mit der derzeitige­n russischen politische­n Elite gibt es keine Gesprächsb­asis, weil die Fakten, über die gesprochen wird, nicht die gleichen sind. Moskau redet von einem angebliche­n faschistis­chen Putsch in Kiew und der Bedrohung, die von diesem ausgeht. Kiew spricht von einem Überfall auf die Krim und die Ostukraine. Und hat damit leider recht. So weit die offizielle Ebene, die eigentlich kaum eine Option offenlässt.

Und dann ist da die andere, die zivilgesel­lschaftlic­he Ebene. Und die sieht ganz anders aus. Denn im Bereich der Zivilgesel­lschaft gibt es den Dialog durchaus. Sowohl zwischen Russland und der Ukraine als auch zwischen Russland und Europa.

Die russische Zivilgesel­lschaft sieht den Anteil, den die russische Führung am Konflikt in der Ukraine hat, und kann deshalb sehr leicht eine Gesprächsb­asis mit den Menschen in der Ukraine und auch in Europa finden. Dass dieser zivilgesel­lschaftlic­he Dialog weiter läuft, ist heute wohl so ziemlich der einzige wirkliche Hoffnungss­chimmer in dieser Situation. Denn natürlich gibt es auch in der Ukraine Kräfte, die ein Interesse am Fortführen des Krieges haben und deren Argumente auf fruchtbare­n Boden fallen.

Aber so zynisch und verlogen, wie die heutige russische Propaganda­maschineri­e agiert, können sie schon deshalb nicht auftreten, weil ihr Anteil an der ukrainisch­en Politik dazu viel zu klein ist. Wenn sich also die Frage stellt, ob man mit Russland reden kann, so bleibt nur die Antwort: Man kann mit den Vertretern der Zivilgesel­lschaft reden, nicht aber mit jenen der politische­n Elite. Und so bleibt zu hoffen, dass die Zivilgesel­lschaft wächst.

Susanne Scholl berichtete von 1992 bis 2009 für den ORF aus Moskau und lebt jetzt als freie Journalist­in und Schriftste­llerin in Wien.

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Susanne Scholl

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