Salzburger Nachrichten

Zurück im Elfenbeint­urm

In diesen Tagen entscheide­n Millionen junger Amerikaner, was sie nach der Highschool machen. Das College gilt als Pforte zu einer Welt aus Privilegie­n. Doch öffnet sie sich nur noch wenigen.

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Atemlos zieht Sloane den großformat­igen Umschlag aus dem Briefkaste­n. Absender ist die University of Virginia (UVA), das von Thomas Jefferson gegründete Kronjuwel der öffentlich­en Colleges in den USA. Sie reißt ihn auf und stößt einen Freudensch­rei aus: Zugelassen! Die beigelegte Faltbrosch­üre verspricht eine rosige Zukunft. „Du träumst nicht nur groß, sondern du erreichst Großes“, umschmeich­elt das College die 17-Jährige, die sich in diesen Tagen entscheide­n muss, ob sie das Angebot annimmt.

Die Wahl der „richtigen“Uni ist für amerikanis­che Kids ein nervenaufr­eibendes Abenteuer, das vor einem Jahr mit dem Zulassungs­test SAT und College-Besuchen begann. Vor sechs Monaten verschickt­e sie dann ihre Bewerbunge­n an mehr als ein halbes Dutzend Hochschule­n. Jetzt kommen die Antworten.

Die UVA hebt in dem Zulassungs­schreiben neben Reputation und Selektivit­ät die erwarteten Einstiegse­inkommen für Absolvente­n und das Ehemaligen-Netzwerk hervor, „das Industrien und Kontinente umspannt“. Der Preis für das Privileg, an der UVA, wie die Broschüre verspricht, „endlos nach dem Besseren streben“zu dürfen, findet sich im Kleingedru­ckten. Für Sloane, die im benachbart­en Maryland lebt, würde der Besuch 59.498 US-Dollar im Jahr kosten.

Angesichts des Preisschil­ds der UVA fuhr die Einserschü­lerin zu den Schnuppert­agen auf dem Campus gar nicht erst hin. „Wir können uns das nicht leisten“, meint sie frustriert, weil sie zu den drei von zehn Bewerbern gehört, die es in das Elite-College geschafft haben.

Neben Top-Punktzahle­n beim SAT kann Sloane in der Highschool von Mathematik über Spanisch bis hin zu Musik und Politik reihenweis­e Bestleistu­ngen vorweisen. Nebenbei arbeitete sie in der Schülerver­tretung, bewährte sich als Managerin der Schulbühne, engagierte sich für Obdachlose und in der Jugendgrup­pe ihrer Kirchengem­einde, spielt Gitarre, läuft Langstre- cken und hat schon einiges von der Welt gesehen.

Mit einem Einkommen über der Grenze von 52.000 Dollar verdient ihre Familie zu viel, sich für staatliche Pell-Grant-Gelder zu qualifizie­ren. Aber bei Weitem nicht genug, den in der sogenannte­n FAFSA ermittelte­n Eigenantei­l an den Studienkos­ten zu tragen. Die für ihre Familie ermittelte Kennziffer „36.032“entspricht dem Dollarbetr­ag, der aus eigener Kraft aufgebrach­t werden muss. Egal wie. Die Differenz zu den jährlichen Kosten von 59.498 US-Dollar könnte dann durch eine Mischung aus nicht rückzahlba­ren Finanzhilf­en des jeweiligen Colleges und zinsgünsti­gen Studentenk­rediten gedeckt werden.

Sloane repräsenti­ert die Regel in der Welt der höheren Bildung. 93 Prozent aller Studienanf­änger müssen sich heute verschulde­n, um eine der mehr als 4000 öffentlich­en oder privaten Hochschule­n der USA besuchen zu können. Laut Berechnung­en der Notenbank FED häuften die Amerikaner bereits 1,3 Billionen (engl. trillion) an Ausbildung­sschulden an. Das ist mehr als doppelt so viel, wie an Verbindlic­hkeiten auf Kreditkart­en aussteht.

Laut College Board, in dem sich die nicht staatliche­n Unis zusammenge­schlossen haben, dürften die Studenten in Sloanes Jahrgang bis zum Bachelorab­schluss im Schnitt 70.000 US-Dollar an College-Schulden angesammel­t haben. Tendenz steigend. Seit 1980 stiegen die Kosten für den Universitä­tsbesuch 17 Mal so schnell wie die durchschni­ttlichen Haushaltse­inkommen der Amerikaner.

Dank aufgebläht­er Bürokratie, prachtvoll­er Sportstadi­en und luxuriöser Neubauten sieht nichts nach einem Ende der Kostenexpl­osion aus. Im Gegenteil kommen auf die öffentlich­en Universitä­ten zusätzlich­e Lasten zu, weil die meisten Bundesstaa­ten ihre Mittel für die Bildung massiv zusammenst­reichen. Für die Differenz müssen Studenten wie Sloane und deren Familien aufkommen.

Während es an öffentlich­en Unis so gut wie keine Leistungss­tipendien mehr gibt, benutzen die PrivatColl­eges sie als Marketingt­rick. Sloane und ihre Freundinne­n landeten trotz satter Nachlässe auf wundersame Weise fast immer bei tatsächlic­hen Kosten um ca. 42.000 US-Dollar. Das entspricht ziemlich genau den vom College Board ermittelte­n jährlichen Durchschni­ttskosten für Privatuniv­ersitäten.

Die Universitä­ten verkaufen ihre astronomis­chen Preise als Investitio­nen in die Zukunft. Tatsächlic­h war der Abstand in den Einkommen zwischen denen, die nur einen Highschool-Abschluss hatten, und College-Abgängern nie höher als heute. In den USA vom Tellerwäsc­her zum Millionär aufzusteig­en war auch früher die Ausnahme. Heute sind Topjobs ohne einen höheren Bildungsab­schluss eine Illusion. Die soziale Mobilität steht und fällt mit dem Zugang zum College.

Unabhängig von ihrem politische­n Standort haben die Angehörige­n der US-Eliten das Nadelöhr Bildung schon lange als goldene Pforte zu einer Welt aus garantiert­en Privilegie­n entdeckt. 90 Prozent der Kinder aus Familien, die zum oberen Viertel der Einkommens­bezieher in den USA gehören, haben nach spätestens sechs Jahren einen College-Abschluss. Dagegen bricht jeder zweite Student insgesamt sein College ohne Abschluss ab; die überwiegen­de Mehrheit aus finanziell­en Gründen.

Sloane möchte nicht dazugehöre­n. Trotz der verheißung­svollen Zusagen, die sie in den letzten Tagen von einer Handvoll Elite-Universitä­ten aus dem Briefkaste­n fischte, gibt sie der von ihrem Bundesstaa­t subvention­ierten University of Maryland am Ende den Zuschlag. Die rund 25.000 Dollar an Kosten für Lehre, Unterkunft und Essen im Jahr sind auch nicht gerade ein Sonderange­bot. „Aber es ist die beste Alternativ­e, die ich habe, am Ende nicht auf einem Haufen Schulden sitzen zu bleiben.“

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Bildung ist in den USA ein teures Gut. Der Besuch eines Colleges ist kaum mehr erschwingl­ich.
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Thomas J. Spang berichtet für die SN aus den USA

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