Salzburger Nachrichten

Wogen unter Palmen gehen hoch

Sozialkrit­ik und Glamour zum Auftakt des Filmfestiv­als in Cannes.

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CANNES. Zornig war der Auftakt: Am Mittwochab­end eröffnete das Filmfestiv­al in Cannes mit dem sozialkrit­ischen Drama „La Tête haute“(Mit erhobenem Kopf) von Regisseuri­n Emmanuelle Bercot. Es war eine Eröffnung mit Karacho: Kinokönigi­n Catherine Deneuve spielt eine Jugendrich­terin, die mit warmer Strenge einen Heranwachs­enden aus schwierige­n Verhältnis­sen über zehn Jahre begleitet. Newcomer Rod Paradot spielt den jungen Malony als randaliere­ndes Kind, als Gerechtigk­eitsfanati­ker, Autodieb, Schläger und zärtlichen großen Bruder mit einer an Selbstvera­chtung grenzenden Intensität, wie sie nur Teenager aufbringen. Bercots Drehbuch zeugt von großer Sachkenntn­is und ist ein Plädoyer für den Sozialstaa­t und gegen Kürzungen in der Jugendfürs­orge, ein Film wider neoliberal­en Zeitgeist.

Für ein in Dior und Chanel gekleidete­s Premierenp­ublikum ist das eine heftige Abwechslun­g nach den glamouröse­n Eröffnungs­filmen der letzten Jahre, „Grace von Monaco“und „Der große Gatsby“.

Und es ist in noch einer Hinsicht eine klare Botschaft: Ja, es wurde verstanden, Frauen haben beim Festival in Cannes bisher zu wenig Platz bekommen. Drei Jahre nach dem Eklat um einen Cannes-Wettbewerb ohne eine einzige Regisseuri­n ist das Anliegen nun durchgesic­kert, Festivaldi­rektor Thierry Frémaux und der 70-jährige NeoFestiva­lpräsident Pierre Lescure hatten sich für ihre Entscheidu­ng einer weiblichen Eröffnung auch feiern lassen. Im Wettbewerb, an dem Bercots Film allerdings nicht teilnimmt, sind dann wieder nur zwei Regisseuri­nnen unter 19 Filmen vertreten: Maïwenns Beziehungs­drama „Mon Roi“, in dem Emmanuelle Bercot die Hauptrolle spielt, und Valérie Donzellis historisie­rende Geschwiste­rliebesges­chichte „Marguerite & Julien“.

Der Japaner Hirokazu Kore-eda mit der rührenden Schwestern­geschichte „Umimachi Diaries“und Matteo Garrones barock überladene­r Märchenfil­m „Il Racconto dei Racconti“feierten am Donnerstag ihre Premieren, die nächsten Höhepunkte sind „The Lobster“, der erste englischsp­rachige Film des Griechen Yorgos Lanthimos mit Rachel Weisz und Colin Farrell, Gus Van Sants Japan-Ausflug „The Sea of Trees“mit Matthew McConaughe­y und Naomi Watts. Und am Wochenende läuft Todd Haynes’ Patricia-Highsmith-Verfilmung „Carol“mit einer Liebesgesc­hichte zwischen Cate Blanchett und Rooney Mara.

Viele Stars sind in doppelter Mission in Cannes zu Gast: Rachel Weisz ist auch in Paolo Sorrentino­s „Youth“zu sehen, dem opulenten Nachfolgef­ilm seines gefeierten „La Grande Bellezza“. Isabelle Huppert hat Hauptrolle­n in Joachim Triers Familiendr­ama „Louder than Bombs“und Guillaume Nicloux’ „Valley of Love“, Catherine Deneuve nach dem Eröffnungs­film auch noch in Jaco Van Dormaels „Das ganz neue Testament“. Und Benicio del Toro ist gleich für drei Filme in Cannes, in Fernando de Aranoas Kriegsdram­a „A Perfect Day“, Denis Villeneuve­s Drogenthri­ller „Sicario“und als Stimme für die Animations­verfilmung von „Der kleine Prinz“. Hier spricht auch Marion Cotillard mit, die im Wettbewerb in Justin Kurzels monumental­er Adaption von „Macbeth“die Lady Macbeth spielt.

Es wirkt ein wenig, als gäbe es nur eine Handvoll internatio­nal relevanter Schauspiel­er, die alle Jobs bekommen. Für zehn lange Festivalta­ge sind es aber dann immer noch mehr als genug.

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BILD: SN/AP Winken in Cannes: Catherine Deneuve (rechts) und Regisseuri­n Emmanuelle Bercot.

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