Die Große Koalition beginnt zu krachen
Wer durch Politik- und Wirtschaftsseiten von 1997 flaniert, erkennt zwei kapitale Weichen.
1997 werden zwei Weichen gestellt. Die eine führt zur ersten Schmach Österreichs als EUMitglied. Dass 2002 die EU-Kommission den Banken wegen jahrelangen Zinskartells im „Lombardclub“eine Strafe aufbrummen wird, beginnt 1997 mit etwas, was für einen SN-Bericht tabu gewesen wäre, aber am 28. April dreispaltig auf Seite 1 landet: ein Suizid. „Gerhard Praschak, Vorstandsmitglied der Kontrollbank (OeKB), hat in seinem Büro Selbstmord begangen.“Er habe sich durch die Berufung von Ex-Minister Rudolf Scholten (SPÖ) bedroht gefühlt, schrieb der 46Jährige im Abschiedsbrief. Und er hinterlässt ein Dossier. Dieses enthülle „ein System aus Einflußnahme, Postenschacher, Unfähigkeit und finanzieller Umverteilung“, analysiert SN-Redakteurin Margarete Freisinger. Anfang Mai kündigt FPÖ-Obmann Jörg Haider an, wegen der von Gerhard Praschak ange- prangerten Zinsabsprachen der Banken bei der EU-Kommission vorstellig zu werden.
FPÖ, Liberales Forum und Grüne fordern wegen des Selbstmordes einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Da die Großparteien dies verweigern, geht die Opposition in Streik und boykottiert in einer laut SN „in der Zweiten Republik beispiellosen Aktion“die Teilnahme an Ausschüssen.
Die zweite Weiche wird über die Bank Austria gestellt: Im Jänner entscheidet Viktor Klima (SPÖ), damals Finanzminister, die Mehrheit der Creditanstalt an die Bank Austria zu verkaufen. Seit 1991 haben ÖVP und SPÖ über die Privatisierung der ÖVP-nahen Edel-Bank gestritten. Jetzt wird sie vom roten Imperium geschluckt. Anfang Juni (siehe Seite-1-Bericht links) wird sogar publik, dass die SPÖ der Westdeutschen Landesbank ein Vorkaufsrecht an der Bank Austria zugesagt hat. Österreichs größte Bank samt CA wird also ins Ausland verkauft sowie an ein rotes, öffentlich-rechtliches deutsches Institut (später dann an die italienische UniCredit). Die ÖVP fühlte sich neuerlich unverzeihbar hintergangen. Dies ist heute noch an der Aversion – vielleicht gar am erkalteten Hass – zwischen ÖVP und SPÖ zu spüren.