Salzburger Nachrichten

Deutsche Justiz will „Zigaretten­paten“

Richard St. (70) gilt als Kopf einer internatio­nalen Bande, die mit illegalen Zigaretten­fabriken 170 Millionen Euro Steuern hinterzoge­n haben soll. In Wels erhielt er bereits eine nicht rechtskräf­tige Rekordstra­fe, nun droht ihm ein Prozess in Koblenz.

- G. Hellebrand, Landesgeri­cht Wels

WELS, KOBLENZ. Es war wohl der größte Steuerhint­erziehungs­prozess, den es in Österreich bisher gab: Im Juli 2014 wurden am Landesgeri­cht (LG) Wels fünf Männer zu Rekordstra­fen verurteilt, weil sie den Staat mit illegal betriebene­n Zigaretten­fabriken in Thalgau (Salzburg) und Brixen im Thale (Tirol) um unfassbare 100 Millionen Euro an Steuern geprellt haben sollen.

Richard St., jetzt 70-jähriger ExUnterneh­mer, der aus Oberösterr­eich stammt und lang in Tirol lebte, gilt als Kopf einer Fälscherba­nde, die internatio­nal agierte: Richard St. allein erhielt wegen gewerbsmäß­iger Steuerhint­erziehung und Eingriffs in das Tabakmonop­ol viereinhal­b Jahre Haft sowie 85 Millionen Euro Geldstrafe (Ersatzhaft: zwei Jahre). Die Schuldsprü­che des Schöffense­nats sind noch nicht rechtskräf­tig: Vier Verurteilt­e, allen voran Richard St., erhoben Nichtigkei­tsbeschwer­de und Berufung.

Ungeachtet dessen will auch die deutsche Justiz Richard St. den Prozess machen. Auch dort waren nämlich illegale Produktion­sstätten von Zigaretten, die man europaweit vertrieb, ausgehoben worden. Auf einen Antrag der Staatsanwa­ltschaft (StA) Koblenz hin erklärte kürzlich das Oberlandes­gericht (OLG) Linz die Auslieferu­ng des „Zigaretten­paten“auch für zulässig.

Zurück zum Welser Verfahren: „Das erstinstan­zliche Urteil in der Steuerstra­fsache hat 250 Seiten und wurde erst im März von der Vorsitzend­en Richterin ausgeferti­gt. Akt und Rechtsmitt­el sind noch nicht bei uns eingelangt“, betonte Kurt Kirchbache­r, Sprecher des Obersten Gerichtsho­fs (OGH).

Gegen Richard St. war im Rahmen des Welser Großverfah­rens zusätzlich auch ein Teilurteil wegen Sozialbetr­ugs ergangen: Er erhielt weitere drei Jahre Gefängnis, weil er sich im Jahr 2013 insgesamt 62.000 Euro an Pflegegeld der Stufe 6 erschliche­n hatte. Dieses Teilurteil ist inzwischen bereits rechtskräf­tig.

Die im Welser Prozess gegenständ­lichen Zigaretten­fabriken in Brixen und Thalgau waren unter mutmaßlich­er Führung von Richard St. bereits von 2002 bis zum Sommer 2004 betrieben worden. Bulgarisch­e Arbeiter hatten auf bulgarisch­en Maschinen an den zwei Standorten 786 Millionen (!) Stück Glimmstäng­el unter dem Namen Marlboro hergestell­t. Der Tabak, 800.000 Kilogramm, kam aus Argentinie­n. Warum es nach Aufflie- gen der Österreich-Standorte 2006 so lang bis zum Prozess gegen Richard St. dauerte? – Der Ex-Unternehme­r hatte jahrelang behauptet, wegen Erkrankung­en nicht verhandlun­gsfähig zu sein. Er spielte mit der Justiz ein Katz-und-Maus- Spiel: Wiederholt kam er nicht zu bereits angesetzte­n Prozesster­minen. Immer wieder mussten neue medizinisc­he oder psychiatri­sche Gutachten eingeholt werden. 2013 hatten aber gleich zwei Gerichtsgu­tachter den inzwischen 70-Jährigen eindeutig als uneingesch­ränkt verhandlun­gsfähig befunden – er wurde im Jänner 2014 verhaftet.

Als sich Richard St. dann zum Prozessauf­takt in einem Transports­tuhl in den Welser Gerichtssa­al bringen ließ und in diesem völlig regungslos verharrte, verhandelt­e der Senat in seiner Abwesenhei­t. Zuvor hatte die Vorsitzend­e Richterin noch betont, dass laut den Gutachtern „zu erwarten ist, dass der Erstangekl­agte simulieren“werde.

Richard St. soll aber nicht nur Cheforgani­sator der einstigen ös- terreichis­chen Zigaretten­fabriken sein. Vielmehr flogen bereits 2005 in Deutschlan­d – konkret in Köln (Nordrhein-Westfalen) und in Koblenz (Rheinland-Pfalz) – zwei Produktion­sanlagen auf. Einer der mutmaßlich­en Bosse auch hinter diesen Fabriken: Richard St. In Fälscherkr­eisen wurde der gebürtige Oberösterr­eicher übrigens „der Dicke aus den Alpen“genannt.

Dem ab 2002 in Österreich agierenden Fälscherri­ng wurde es den Fahndern zufolge Mitte 2004 in der Alpenrepub­lik zu heiß: Man verlegte die Produktion daher im Herbst 2004 nach Koblenz und nach Köln. Allein in Köln waren bis zur Beschlagna­hme der Anlage im März 2005 bereits 400 Millionen illegale Glimmstäng­el erzeugt worden.

Bezüglich der deutschen Fabriken wurden am Landgerich­t Koblenz schon vor Jahren insgesamt 23 (!) Beschuldig­te zu insgesamt fast 80 Jahren Haft verurteilt. Apropos Koblenz: Nach dem Verfahren in Wels droht Richard St. auch dort ein Strafproze­ss. Dazu Gerlinde Hellebrand, Sprecherin des LG Wels: „Gegen Herrn St. gibt es seit Langem einen Europäisch­en Haftbefehl. Ende März hat das OLG Linz nun dessen Auslieferu­ng nach Deutschlan­d rechtskräf­tig für zulässig erklärt.“Wann ein Prozess gegen den „Paten“in Koblenz stattfinde­t – sofern es zu einem solchen kommt –, ist noch nicht absehbar. Laut Hellebrand sitzt er nach wie vor in der Justizanst­alt Wels.

„Die Auslieferu­ng des Hauptangek­lagten nach Deutschlan­d ist zulässig.“

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BILDER: SN/ZOLLFAHNDN­UNG Produktion­smaschinen der illegalen Zigaretten­fabrik, die in Thalgau betrieben wurde.
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