Der mit der Engelsstimme
Der Countertenor Philippe Jaroussky ist einer der Stargäste bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Sein Zauberorgan veredelt alles: vom Barock bis zum Chanson.
Wem da das Herz nicht aufgeht, dem ist nicht mehr zu helfen. Diese Arie ist zum Weinen schön. Und der Sänger, der sie singt, hat in einem Interview bekannt, das sei ihm auch das liebste Kompliment: Wenn jemand nach einer Vorstellung zu ihm käme und sagte, er sei zu Tränen gerührt.
Auch wenn er selbst nicht hören mag, dass er der mit der „Engelsstimme“sei, so hat er sie trotz allem: der 38-jährige Countertenor Philippe Jaroussky. Dieses unvergleichlich elfenhafte Timbre! Diese perfekt schwebende Linie! Diese Aura des zerbrechlich Schönen und zugleich unerschütterlich Gefestigten! Dieser Ambitus des Ausdrucks!
Die zitierte Arie kommt in einer barocken Opernkostbarkeit vor, die kürzlich erstmals auf CD veröffentlicht wurde: ein Wunder in vier Stunden – „Niobe, Regina di Tebe“von Agostino Steffani, 1688 für München entstanden von jenem Musiker, der auch Priester und Dip- lomat in vatikanischen Diensten gewesen ist und dessen „Mission“vor drei Jahren von Cecilia Bartoli erstmals umfassend präsentiert wurde.
Die Arie des thebanischen Königs Anfione beschwört die „Sfere amiche“auf unerhörte Art: ein unmerkliches, subtil schattiertes Gleiten in einem schier imaginären Tonraum, eingesponnen in den überwirklichen Klang eines traumhaften Gambenquartetts – barocke „minimal music“von so einzigartiger Schönheit, dass man schier von Sinnen ist und süchtig nach dieser Nummer wird: acht Minuten, von Philippe Jaroussky mit ephebenhafter Zartheit gesungen. Man vergesse darüber aber nicht die anderen mannigfachen Schönheiten der Oper – und der famosen Aufnahme!
Süchtig, ja, das ist auch auf andere Weise richtig. Denn der französische Countertenor hat jetzt auch ein Doppelalbum mit Vertonungen von Gedichten Paul Verlaines vorgelegt, darunter eine Reihe von gleichen Texten in Versionen verschiedener Komponisten – von melancholischer Lyrik über freche Arietten bis zum Chanson (Léo Ferré, Charles Trenet, Georges Brassens). Das ist ein Kompendium von außerordentlichem Reiz, spielerisch und charmant, durchzogen von feinsten Valeurs, 43 Stimmungen, die weit über bloßen Liedvortrag hinausgehen, Lehrstück und köstliches Vergnügen in einem.
Philippe Jaroussky steht auf dem Gipfel seines Könnens, die Stimme schwebt und strömt und ist in sich wunderbar stabil. Das nächste Abenteuer wartet schon: das Debüt als Ruggero in Händels „Alcina“bei den Festspielen in Aix – und am Sonntag eine Corona von „göttlichen“Händel-Arien in Salzburg.
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