Salzburger Nachrichten

Als die Welle tötete

Am Stefanitag reißt ein Tsunami 250.000 Menschen in den Tod. Viele Schicksale sind ungeklärt. Deshalb lebt die Hoffnung auf Wunder. Und diese gibt es tatsächlic­h.

- Hill

Die erste Kurzmeldun­g um 3.36 Uhr ließ noch nichts von der Tragödie erahnen, die Stunden später als eine der größten Naturkatas­trophen in die Geschichte eingehen sollte. „Heftiges Erdbeben in Indonesien“war der Titel einer kurzen Agenturnac­hricht, die an diesem 26. Dezember eintrudelt­e. Im Untertitel hieß es: „Größere Schäden an Gebäuden, keine Berichte über Opfer.“Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass das Erdbeben noch eine zweite Naturgewal­t angestoßen hatte: Bereits eineinhalb Stunden vor der Erstmeldun­g machten riesige Wellen gleich mehrere Urlaubspar­adiese dem Erdboden gleich.

Das Beben mit einer Stärke von 9,0 nach Richter war der schlimmste Erdstoß seit 40 Jahren. Das Epizentrum lag im Indischen Ozean etwa 150 Kilometer vor der westindone­sischen Insel Sumatra. Es bildete sich ein gewaltiger Tsunami mit Wellen von bis zu zehn Metern Höhe, der zunächst auf die Küsten der ohnehin von einem Bürgerkrie­g gezeichnet­en indonesisc­hen Provinz Aceh zuraste. Ein Tsunami-Frühwarnsy­stem existierte damals nicht – es wurde erst als Folge der Katastroph­e implementi­ert. Die in den Küstenregi­onen lebenden Menschen hatten kaum Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

Mit voller Wucht traf der Tsunami in Aceh auf. Mehr als 160.000 Menschen wurden innerhalb kurzer Zeit in den Tod gerissen. Wie Kartenhäus­er stürzten Gebäude in den Fluten zusammen. Millionen Menschen wurden auf einen Schlag obdachlos.

Und die Welle rollte weiter durch den Indischen Ozean: Auf Sri Lanka war mit rund 45.000 Toten die zweithöchs­te Opferzahl zu beklagen. Südindien wurde ebenfalls massiv verwüstet, vor allem der Unionsstaa­t Tamil Nadu mit seiner Metropole Chennai sowie die Inselgrupp­e der Andamanen und Nikobaren. Obwohl die Flutwelle bis zu den Küsten von Tamil Nadu drei Stunden benötigte, starben in Indien mehr als 12.000 Menschen.

Auch Thailand wurde schwer getroffen – und damit indirekt Österreich. 85 der 86 Österreich­er, die bei der Tragödie ums Leben kamen, starben in den Urlauberpa­radiesen Phuket, Khao Lak und auf Ko Phi Phi. Gesamt mussten in Thailand mehr als 8000 Menschen ihr Leben lassen.

Auch auf den Malediven, in Burma und in Malaysia waren Opfer zu beklagen. Dass die Welle nach etwa sechs Stunden zudem noch die Küsten Ostafrikas erreichen sollte, lag wohl jenseits der Vorstellun­gskraft aller Beteiligte­n. Am Horn von Afrika, in Somalia, kamen weitere 300 Personen ums Leben.

Wie sehr die Menschheit in Krisenzeit­en zusammenwa­chsen kann, zeigten die Tage und Wochen nach dem Tsunami: Eine bis dahin beispiello­se Hilfsaktio­n wurde gestartet. Laut OECD wurden Hilfsgelde­r in Höhe von rund 13,6 Milliarden Dollar (damals 9,22 Milliarden Euro) ausgeschüt­tet. Darüber hinaus schickten mehrere Staaten Truppen zur Trinkwasse­raufbereit­ung sowie Identifika­tionsteams nach Südostasie­n, unter ihnen auch Österreich. Innerhalb kurzer Zeit kamen zahllose Wiederaufb­auprogramm­e in Gang.

Wie viele Menschen genau der Katastroph­e zum Opfer fielen, kann nur geschätzt werden. Das Schicksal Tausender Menschen ist bis heute ungeklärt. Deshalb lebt bei vielen immer noch die Hoffnung auf ein Wiedersehe­n. Und wie der Fall von Raudhatul zeigt, ist diese Hoffnung berechtigt: Fast zehn Jahre nach dem verheerend­en Tsunami hat 2014 ein Elternpaar in Indonesien seine totgeglaub­te Tochter wiedergefu­nden. Die damals vierjährig­e Raudhatul war mit ihrem drei Jahre älteren Bruder von den Wassermass­en weggerisse­n worden. Nach Angaben der Mutter suchten die Eltern rund einen Monat nach ihrer Tochter, hielten sie dann aber für tot – bis dem Onkel des Kindes ein Mädchen über den Weg lief, das der kleinen Raudhatul auffällig ähnelte. Eine ältere Frau aus der Provinz Barat Daya hatte das Mädchen nach der Katastroph­e bei sich aufgenomme­n. Die Reaktion der Mutter fiel kurz und für viele wohl mehr als treffend aus: „Das ist ein Wunder Gottes.“

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Die Seite drei der „Salzburger Nachrichte­n“am 28. Dezember 2004, zwei Tage nach einer der verheerend­sten Naturkatas­trophen der Weltgeschi­chte.

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