Der Gesang liegt uns in den Genen
Wenn die Mutter singt, hört der Embryo mit. Musik vernetzt das menschliche Gehirn auf sehr komplexe Weise.
WIEN. Jeder Mensch kann singen. Ob er richtig singt oder falsch, das hängt von anderen Dingen ab. Zum Beispiel von seiner Musikalität, die wiederum in den Genen liegt und vererbt werden kann. Kurzum: Singen liegt offenbar nicht nur dem Travestiekünstler Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst im Blut, sondern jedem Menschen.
Ein musikalischer Mensch kann zumeist auch richtig singen, wenn er übt. Idealerweise von Kindesbeinen an. Mit einigem Training wird er den richtigen Ton bilden können. Es gibt auch Menschen, die hören, wenn sie falsch singen, aber sie können nicht richtig singen, egal wie oft sie üben. Und es gibt Menschen, die singen gern, hören aber nicht, dass sie falsch singen. Egal wie sie ihr Gehör trainieren. Allen Menschen aber ist gemein, dass ihr Gehirn auf Gesang und Musik sofort reagiert.
Schon Aristoteles wusste es: „Im Wesen der Musik liegt es, Freude zu machen.“Aus Sicht der Neurowissenschaften kann die Diagnose des alten Griechen nur bestätigt werden. Neurowissenschafter stellten fest, dass es im Gehirn angeborene Strukturen für die Bearbeitung von Musik gibt. Und sie stellten fest, dass Anlagen für Gehör und Sprache schon im Mutterleib wesentlich ausgeprägt werden. Ungeborene nehmen den Gesang ihrer Mutter deutlich wahr.
Musikalischer Hörgenuss sei mit einer Reihe von Emotionen verbunden, sagt auch Doris-Maria DenkLinnert von der Abteilung Phoniatrie-Logopädie der Medizinuniversität Wien. Deshalb sei die musikalische Frühförderung bei Kindern enorm wichtig. Dass Kinder sich früh mit Musik beschäftigten, sei für ihr Wohlbefinden wichtig, aber auch für die Entwicklung und Vernetzung des Gehirns. Es gebe auch Studien mit älteren Menschen, die zeigten, dass Gesang – etwa in einem Chor – für ältere Menschen grundlegend gesund ist. Es verbessere nicht nur ihre Stimmung, sondern auch Muskulatur und Atmung.
Menschen, die Musik hören oder aktiv betreiben, beeinflussen dadurch ihre Gene. Das zeigte ein finnisches Experiment mit Schülern. Nach Musikgenuss waren bis zu 78 Gene aktiver als zuvor, und zwar jene, die Lernen und kognitive Leistungen fördern und die Ausschüttung und den Transport des Glückshormons Dopamin anregen. Umgekehrt wurden hirnschädigende Substanzen heruntergefahren.
Singen – egal nun, ob richtig oder falsch – ist nicht nur für Seele und Gehirn gut, sondern auch für die Verdauung. Wer singt, benützt automatisch die gesunde Bauchatmung. Wenn tief eingeatmet wird, senkt sich das Zwerchfell, das wiederum sämtliche Baucheingeweide, die darunterliegen, hinunterdrückt. Das ist wie eine Darmmassage und hilft dem Darm bei der Verdauungsarbeit. Beim Singen – also Ausatmen – dagegen bewegt sich das Zwerchfell und damit auch alles, was darunter im Bauchraum liegt, wieder nach oben. Und dieser „Sog“entlastet wiederum das Herz.
Eines der wichtigsten Instrumente für den Gesang ist der Kehlkopf. Er ist nicht nur ein Kommunikationsinstrument, sondern in erster Linie dazu da, die Luftröhre von der Speiseröhre zu trennen. Er öffnet sich, wenn wir atmen und verschließt sich, wenn wir essen und trinken, damit wir uns nicht verschlucken. Diese Schutzfunktion macht sich aber auch psychisch be- merkbar: Bei Angst wird die Kehle eng, die Stimme quietschig und hoch. Man hat den typischen Kloß im Hals. Bei Wut reagiert die Stimme so, als ob man sich verschluckt hätte. Man hat sprichwörtlich „etwas in den falschen Hals bekommen“. Im Zorn brüllen Menschen mit genau denselben Muskeln, die sie zum Husten benötigen.
Und wenn ein Mensch psychologisch gesehen einer Situation nicht gewachsen ist und sich „ohnmächtig“fühlt, dann schließt sich sein Kehlkopf. Dann kann der solcherart Geplagte nur noch hauchen oder tonlos sprechen. Es geht ihm die Luft aus und er wird sprachlos.