Der Fänger beim Üben
Was J. D. Salinger (1919–2010) verboten hat, passiert nun doch: Seine frühen Geschichten erscheinen.
Es gibt zwei Jerome David Salingers. Der eine ist der berühmte Autor, dessen Entwicklungsroman „Der Fänger im Roggen“millionenfach verkauft wurde und Jugendliche wie Erwachsene weltweit in seinen Bann zog. Der andere ist der Mann, der mit diesem Ruhm nicht umgehen konnte, aus der Öffentlichkeit verschwand und sich jahrzehntelang in seinem Haus in New Hampshire verschanzte.
In Europa ist vor allem Salingers Roman aus dem Jahr 1951 bekannt, in den USA wurde er bald zum Mythos, eben weil der Autor sich tot stellte und nach 1965 auch nichts mehr publizierte. Das brachte zahlreiche Gerüchte in Umlauf. Je länger er schwieg, desto legendärer wurde J. D. Salinger. Niemand wusste, was er in späte- ren Jahren noch geschrieben haben mochte – und ob er überhaupt noch schrieb. Laut einer neuen US-Biografie hat er. Es soll einen unveröffentlichten Roman, zwei Bände mit Erzählungen und noch einiges mehr geben, das in der langen Phase des Schweigens bis zu seinem Tod 2010 entstanden ist. All dies soll in den nächsten fünf Jahren veröffentlicht werden.
Bevor diese Salinger-Welle anrollt, ist mit „Die jungen Leute“quasi als Vorbote ein kleiner, schmaler Band mit Frühwerken erschienen. Er enthält seine ersten literarischen Veröffentlichungen: drei Kurzgeschichten, die zwischen 1940 und 1944 in Zeitschriften publiziert worden sind. Für sich genommen sind diese Texte, die von Studentenpartys und leichtlebigen Frauen handeln, keine großen Werke. Aber man kann schon Salingers Stil erahnen. Lässig und beiläufig lässt er seine Figuren reden. Das Eigentliche, das sie gern ansprechen würden, umkreisen sie lediglich. Was wichtig ist, wird nur angedeutet.
Die mit Abstand stärkste Geschichte ist die letzte. „Einmal die Woche bringt dich schon nicht um“hat Salinger geschrieben, kurz bevor er in den Zweiten Weltkrieg musste. Es geht darin um einen Mann, der sich von seiner Frau und seiner Tante verabschiedet, weil er eingezogen wird.
Thomas Glavinic konstatiert in seinem Nachwort: „Große Literatur entsteht vor allem dann, wenn ein Autor aus der Mitte seiner Zeit heraus schreibt.“Das gelte für den frühen Salinger. Dass er später ver- stummt ist, legt Glavinic ihm als Schwäche aus: „Er hatte es sich leicht gemacht. Denn Leben bedeutet: Freunde. Es bedeutet, dass man zusieht, wie Freunde sterben.“Da hat er recht. Aber noch ist das letzte Wort über J. D. Salinger längst nicht gesprochen.