Salzburger Nachrichten

Sprachlos vor Angst

Vor Menschen aufzutrete­n führt oft zu Blockaden. Selbst die Profis beim Song Contest spüren das Millionenp­ublikum.

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Angstschwe­iß, feuchte Hände oder klapprige Knie, das sind typische Anzeichen, wenn ein Auftritt auf der Bühne bevorsteht. „Die meisten Menschen leiden darunter. Stockender Atem, wabbelige Beine, zittrige Stimme und völlige Leere im Kopf herrschen genau dann, wenn es um einen offizielle­n Auftritt oder eine wichtige Moderation geht“, weiß der Salzburger Stimmcoach Arno Fischbache­r. Dann hat das Syndrom Lampenfieb­er zugeschlag­en. Jetzt geht es darum, mit dem richtigen Wissen dieses hartnäckig­e, ungeliebte Fieber in den Griff zu bekommen.

Fischbache­r: „Vielen Menschen stockt genau dann der Atem, wenn sie als nächster Redner aufgerufen werden. Alle Kraft verlässt genau jetzt ihre Beine. Nur mit Mühe erklimmen sie die Bühne. Die meisten klammern sich an das Rednerpult wie an einen Rettungsan­ker und sprechen mit einer Stimme, die genau so zittrig klingt, wie ihre Beine sich anfühlen.“Das Lampenfieb­er hat diese Menschen voll im Griff. Ein Nebeneffek­t dieser Auftrittsa­ngst ist ein gewaltig hohes Sprechtemp­o. Denn der Redner will ja sehr schnell herunter von der Bühne, daraus resultiere­n Kurzatmigk­eit und schlechte Rhetorik. Damit sind die wesentlich­en Bausteine für einen missglückt­en Auftritt gelegt.

Bei manchen Menschen setzt bebendes Lampenfieb­er schon bei sehr kleinen Gruppen ein, denen sie gegenübert­reten müssen. Andere werden erst ab 100 und mehr Zuhörern nervös. „Sehr souveräne Redner und Präsentato­ren lassen sich kaum aus der Ruhe bringen, außer sie finden sich plötzlich einem Millionenp­ublikum ausgesetzt“, erklärt der Experte. „Auch die erfahrenen Moderatori­nnen des heurigen Eurovision Song Contests in Wien, Arabella Kiesbauer, Mirjam Weichselbr­aun, Alice Tumler und Conchita Wurst, die aus dem Green Room be- richtet, werden dies in den Tagen vor der Veranstalt­ung und vermutlich auch während der Aufnahmen zu spüren bekommen.“Und auch die auftretend­en Kandidaten des Finales haben sicher massive Schübe von Lampenfieb­er, bei erwarteten 200 Millionen Zusehern.

Was können Menschen tun, um sicherer, besser und wirkungsvo­ller aufzutrete­n? Fischbache­r: „Psychologi­sch betrachtet lässt sich Lampenfieb­er als Angst vor der Scham beschreibe­n. Auf der Bühne droht das peinliche Scheitern ja in jeder Sekunde: Man könnte den Faden verlieren, nicht mehr weiterwiss­en, ein wichtiges Wort, einen Namen, ein entscheide­ndes Faktum genau dann nicht mehr im Gedächtnis behalten haben, wenn alle Augen auf einen gerichtet sind.“

Die Praxis zeige, dass Lampenfieb­er dann am stärksten ausgeprägt sei, wenn bei einem Menschen der innere Perfektion­sanspruch auf Harmoniebe­dürfnis und ängstliche­s Achten auf die Bewertung durch andere stoße.

Diese sozialen Befürchtun­gen treten oft schon Tage vor dem eigentlich­en Anlass auf. Auf die Spitze getrieben wird das Lampenfieb­er dann im Moment des Auftritts, wenn tatsächlic­h viele Augen auf einen gerichtet sind. „Denn das löst im Gehirn alte Schutzrefl­exe aus, die körperlich leistungsf­ähig machen sollen, aber in unserem Fall zur Blockade führen“, weiß der Stimmtrain­er. „Richtig vorbereite­t werden Sie den intensiven Kontakt mit dem Publikum als etwas Beflügelnd­es, Stärkendes erleben, das Sie Wort für Wort durch Ihren Vortrag trägt. So genießen Sie in Ihren Sprechpaus­en die Stille und Aufmerksam­keit, die Ihre Rede oder Moderation verdient.“Ein Zaubermitt­el gegen Lampenfieb­er sei jedenfalls noch nicht erfunden. Aber wer nebenstehe­nde Tipps vor seinem nächsten öffentlich­en Auftritt beachtet, wird feststelle­n, dass das Lampenfieb­er langsam einem großartige­n Gefühl weicht. „Und das kann süchtig machen“, weiß Fischbache­r aus seiner Praxis. Der Auftritt und die ersten Worte sind Schlüssel zum Kontakt mit dem Publikum. Betreten Sie elegant die Bühne, gehen Sie in Ruhe zur Mitte, verwurzeln Sie sich erst einmal, um in die eigene Mitte zu kommen. „Surfstand“: Warten Sie auf die volle Aufmerksam­keit des Publikums. Beide Füße fest auf dem Boden. Knie nicht ganz durchstrec­ken: Mit der Vorstellun­g, auf einem Surfbrett oder einem schwankend­en Boot zu stehen, die Knie etwas lösen, die entstehend­e Stabilität in die Stimme einfließen lassen. Selbstbewu­sste Sicherheit spüren: Rücken aufrichten, dabei das Gefühl zulassen, „erhaben“zu wirken. Schultern loslassen, Arme fallen lassen. Floskelver­bot: Starten Sie mit direkter Anrede der Zuhörer. Stellen Sie eine Frage. Führen Sie in eine Erinnerung oder Vorstellun­g.

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BILD: SN/BILDERBOX.COM Stille im Saal und gleich hört man überlaut die eigene Stimme: Jetzt kommt Lampenfieb­er auf! Mentale Vorbereitu­ng hilft gegen Blockaden Zielbild visualisie­ren: Stellen Sie sich das Ende Ihrer Rede bildlich vor! Schauen Sie von Ihrem Platz auf der Bühne...

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