Neubeginn in der Pension
Der Sprung in die Pension hat viel mit dem Wohnen zu tun. Aber soll man wirklich das eigenhändig vom Vater gebaute Haus verkaufen?
Der Schritt von der Berufstätigkeit in die Pension stellt im Leben eines Menschen einen wichtigen Lebensübergang dar, wird aber oft unterschätzt. Die Babyboomer-Generation steht vor einer zusätzlichen Herausforderung: Sie ist in der Wirtschaftswunderzeit groß geworden. Die Eltern oder die Menschen selbst konnten sich in einer langen Phase des wirtschaftlichen Wachstums Wohneigentum schaffen.
Jetzt stellt sich die Frage: Was tun mit den Häusern und Wohnungen, die noch in Zeiten des Energieüberflusses errichtet wurden? Sie entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen, technisch, strukturell und psychologisch. Der Architekt Helmuth Seidl und die Lebensberaterin Helga Gumplmaier, Jahrgang 1950 und 1955 und damit selbst genau in dieser Lebensübergangsphase, beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit Fragen bedürfnisgerechten Wohnens und der Psychologie des Wohnens. Dabei werden sie immer häufiger von Menschen in der beruflichen Übergangsphase mit der Frage konfrontiert, ob sich ein Umbau lohne oder Verkauf und Neubau besser seien.
Sie beraten Menschen in deren eigenen vier Wänden und landen dabei in den Gesprächen oft sehr rasch bei psychologischen Fragen: 30, 40 Jahre wohnt man hier, in dem Haus. Jetzt steht man kurz vor der Pension oder hat sie gerade angetreten, die Kinder sind fortgezogen, das Haus entspricht schon lang nicht mehr den tatsächlichen Bedürfnissen. Zu groß, zu verwinkelt, Energiefresser, arbeitsaufwendig.
Oft wird die wirtschaftliche Entscheidung von Fragen nach der inneren Erlaubnis begleitet: „Darf ich das Haus verkaufen, das der Vater mühevoll gebaut hat? Darf ich meinen Kindern das Elternhaus als Erbe entziehen? Oft behindern unbewusste Gedanken der Loyalität und Pflicht einen Loslösungsprozess, wie die beiden Experten meinen. Dabei könnten die Überlegungen zu den Wohnbedürfnissen im kommen- den Lebensabschnitt ein wichtiges, den Schritt in die Pension begleitendes Übergangsritual werden. Während es für Lebensübergänge am Beginn des Lebens in der Gesellschaft vielfältige Rituale gibt, fehlen diese beim Übergang in den sogenannten dritten Lebensabschnitt. Man findet sich plötzlich den ganzen Tag mit zu großen Häusern und Wohnungen konfrontiert. Bewusst oder unbewusst, man nutzt plötzlich nur mehr das halbe Potenzial – räumlich und auch persönlich.
Durch die Pensionierung wird man zum Loslassen gezwungen, das bringt natürlich auch Erleichterungen mit sich. Doch das Haus, die Wohnung ändert sich nicht. Wenn sich der Körper verändert, wird neue Kleidung gekauft, warum also nicht auch ein neues Wohnkleid? Das Vergangene akzeptieren und gleichzeitig bewusst loslassen, sich Gedanken über das Zukünftige machen – die bewusste Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Lebensübergangs geht immer auch mit Loslassen und Reduktion einher. Was lasse ich hinter mir und wie wünsche und gestalte ich das, was vor mir liegt? Die Neugestaltung einer Wohnung kann fast wie ein Ritual inszeniert werden.
Ein Beispiel dazu: Eine Beamtin, 65, alleinstehend, hat seit ihrem Einzug in einer Genossenschaftswohnung vor 30 Jahren kaum etwas an ihrem Wohnumfeld verändert. Jetzt wünscht sie sich, die während ihres gesamten Berufslebens kaum gekocht hat, eine moderne Küche, um sich selbst gut zu versorgen. Ganz bewusst schafft sie sich ein völlig neues Umfeld als tägliches Signal: Jetzt hat etwas Neues begonnen.
„Wer bewusst auch im Wohnen in diesen dritten Lebensabschnitt übertreten will, wird sich Gedanken machen wollen oder müssen, wie sich die Bedürfnisse verändern“, sagt Seidl. „Was vom Alten brauche ich, um mich sicher zu fühlen und wohlzufühlen, wie viel Neues möchte ich mir gönnen?“Was in Berufszeiten wichtig war, kann jetzt Ballast sein. Was einem früher als Luxus erschien, kann man sich als Belohnung für den letzten Lebensabschnitt gönnen.
Alle Möglichkeiten, auch die verrücktesten, durchzudenken, das kann kreative Ideen fördern. Neu durchstarten kann bedeuten, das Haus, die Eigentumswohnung zu verkaufen, den Mietvertrag zu kündigen und ganz neu mit geänderten Bedingungen erneut zu beginnen. Von der Mühe des Landes mit Gartenarbeit in die gemütliche Stadtwohnung mit Anbindung an den öffentlichen Verkehr oder umgekehrt von der berufsbedingten stadtnahen Bleibe aufs Land mit Garten, um sich selbst zu versorgen. Oder neu im Alten durch Umbau, neue Grundrisslösungen wie z. B. Baderweiterung, einer neuen Nutzung von Räumen, neue Möbel.
Warum nicht im eigenen Haus Rückzug in einen kleineren Wohnbereich und Vermietung als Zusatzpension? Warum nicht Mieter finden, die einem die eine oder andere Arbeit in Haus und Garten abnehmen? Eine Einliegerwohnung könnte ja später sogar für Pflegepersonal genutzt werden.
„Bei langjährigen Ehepaaren können sich natürlich auch Konflikte einschleichen. Nach Jahrzehnten der Partnerschaft können Bedürfnisse nach Rückzugsräumen, vielleicht auch nach getrennten Schlafräumen entstehen, weil sich die Schlafgewohnheiten geändert haben“, weiß Gumplmaier. „Diese Themen sind oft sehr emotional besetzt. Die achtsame Begleitung, sowohl emotional als auch architektonisch, kann hier viel Sprengstoff herausnehmen und gleichzeitig zu Ideen führen, auf die man als Laie gar nicht käme.“