Er weckt Kutschen aus dem Dornröschenschlaf
Über 100 Jahre alte Kutschen sind für Bernhard Seethaler ein Gesamtkunstwerk. Der 51-jährige Abtenauer restauriert die alten Droschken originalgetreu – und kutschiert dann durchs Lammertal.
ABTENAU. Wenn Bernhard Seethaler (51) die Tür zu seiner Remise öffnet, ist ihm die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. In der Remise stehen mehr als 100 Jahre alte Droschken und Schlitten. An den Wänden hängen poliertes Zaumzeug und Stangen zum Einspannen der Rösser. Ein „Münsterländer Kirchwagen“wird gerade restauriert. „Das Besondere an diesem Wagen ist, dass man den Kutschbock komplett wegklappen kann. Das ist bei Schlechtwetter praktisch, weil dann die Kutsche von innen gelenkt werden kann“, erklärt Seethaler.
Für den Leiter einer Bankfiliale in Rußbach ist die Kutsche ein Gesamtkunstwerk. Es fasziniert ihn, wenn Altes wieder funktioniert und in neuem Glanz erstrahlt. Bevor die Kutsche in seiner Remise landet, ist sie meist verwahrlost und verstaubt. „Da kommen manchmal wilde Gefährte“, sagt seine Frau Christa Seethaler schmunzelnd. Manchmal rät sie ihrem Mann beim ersten Anblick einer Kutsche: Fahr sie zum Müll! Für Bernhard Seethaler ist es aber weniger das Aussehen – für ihn sind intakte Räder, Achsen, Federung und Bremsen die Voraussetzung, dass er eine alte Kutsche restauriert.
Mit den Fingern klopft er auf die Räder und hört am Klang, ob diese in Ordnung sind. Wenn er überzeugt ist, dass er die Droschken herrichten kann, schleift, poliert und schraubt der Vater dreier Kinder, bis sie in neuem Glanz erstrahlt. Für die erste Ausfahrt spannt Seethaler seine Norikerstute Nora ein. „Wenn Kutsche, Pferd und Kutscher eine Einheit bilden, ist das wunderschön.“
Eine Herausforderung stellte für den Lammertaler die Restauration des „1/2 Coupés“dar – eine Kutsche aus dem Jahr 1880. Der Besitzer eines oberösterreichischen Kutschen-Privatmuseums hat sie Seethaler geschenkt. Das Gefährt war so desolat, dass der ehemalige Besitzer sie verbrennen wollte. „Als ich die Kutsche abholte, war sie noch halbwegs ganz. Während des Transports ist sie aber in drei Teile zerfallen“, erinnert sich Seethaler. Er überlegte lang, ob er sie restaurieren soll oder nicht. Dann packte ihn der Ehrgeiz: Fast ein Jahr werkte er jeden Abend und auch an vielen Wochenenden. Für seine Frau Christa ist er in dieser Zeit „nicht weit weg und doch nicht da“.
Bevor Seethaler eine Kutsche zerlegt, muss er die Funktionsweise durchschauen. „Ich muss verstehen, was sich der Kutschenbauer gedacht hat.“Kaput- tes tauscht er mit Originalteilen aus, weil möglichst viel erhalten bleiben soll. Er findet diese auf Flohmärkten oder bekommt sie von alten Kutschen, die nicht mehr repariert werden können. Das Leder ist nach 100 Jahren meist nicht mehr zu retten. Dieses ersetzt er durch ein neues.
Bei der achten historischen Pferdekutschengala ist Seethaler mit seinem „1/2 Coupé“und Norikerstute Nora dabei. Die Gala findet am Pfingstsonntag, 24. Mai, ab 10.30 Uhr statt. Beginn und Ende sind am Abtenauer Marktplatz. 38 Gespanne aus Österreich, Südtirol und Deutschland werden präsentiert. Die Fahrt geht über den Egelsee zum Heimatmuseum und retour zum Marktplatz. Bäuerinnen sorgen für das leibliche Wohl. Trachtenmodenschau, Musik sowie ein Handwerks- und Schmankerlmarkt im Gerichtsgarten runden das Programm ab.