„Wien erinnert mich an das alte Rom“
Der Tiroler Karlheinz Töchterle bricht eine Lanze für die Provinz und den Föderalismus.
WIEN. Sorgen um die Entwicklung im Bundesstaat Österreich macht sich der frühere Wissenschaftsminister und nunmehrige ÖVP-Abgeordnete Karlheinz Töchterle. „Wien erinnert mich bisweilen an das alte Rom“, sagt der gelernte Altphilologe. Rom sei ein riesiges Reich gewesen, habe sich aber lange Zeit nicht als Flächenstaat, sondern als Stadtstaat, als Polis, verstanden. „Die Stadt Rom war das Zentrum, in dem die Meinung gemacht wurde und wo der Diskurs und die gesamte Politik stattfanden. Die Provinz war hingegen nicht wirklich wichtig“, sagt der Tiroler. „Und da fallen mir schon Analogien zu Wien auf.“
Als auch in Wien tätiger Westösterreicher stelle man fest, wie sehr man an der Peripherie lebe und wie weit weg man vom Zentrum der Entscheidungen sei. „Man merkt, wie sehr die Diskurse in Wien stattfinden und wie wenig stimmig sie mitunter für den Rest Österreichs sind“, sagt der nun wieder an der Universität Innsbruck Lehrende.
Als Beispiel nennt er die „hysterische Debatte“über Hauptschule und Gymnasium: Das Gefühl, man werde seiner Chancen beraubt, weil man in die Hauptschule bzw. jetzt Neue Mittelschule gegangen sei, gebe es in Tirol kaum. „Das ist eine Wiener Diskussion“, bemerkt Töchterle. In Innsbruck beginne jetzt ebenfalls das Abrücken von der Hauptschule bzw. Neuen Mittelschule, was aber nicht die Richtigkeit der Debatte bestätige, sondern eine Folge von ihr sei, weil sie die Eltern verunsichere.
Töchterle bekennt sich zum Föderalismus im Sinne des Subsidiaritätsprinzips und zum Ausbau der Rechte der Bundesländer. Dafür müssten die Länder aber auch finanzielle Verantwortung übernehmen und zum Beispiel selbst Steuern einheben. Wirklich optimistisch, dass dies geschieht, ist er nicht. „Ich sehe wenig Chancen auf Veränderung“, sagt er im SN-Gespräch. „Das bürokratischhierarchische Denken ist bei uns einfach zu groß – wohl auch ein Erbe unserer monarchischen Vergangenheit.“
Umso mehr müsse aber der Gefahr einer Ausdünnung des ländlichen Raums entgegengewirkt werden. Im Wissenschaftsbereich etwa sei es ganz wichtig, dass Österreich eine breite Spitze an Universitäten in den Bundesländern habe und nicht alles Neue automatisch nach Wien komme.
Was der Wissenschafter aus dem Tiroler Stubaital wirklich gern ändern würde: „Die Städter schätzen die Leute aus der Provinz völlig falsch ein. Viele halten uns für Deppen.“Das sei völlig unangebracht: „Es gibt auch in den Dörfern ungeheuer belesene, kluge und kulturinteressierte Menschen.“