Salzburger Nachrichten

Der Staat als geheime Kommandosa­che

Die Vertuschun­gsparanoia des Staates wird immer unerträgli­cher. Ebenso seine Neigung, uns Untertanen, Pardon: Bürger, auszuschnü­ffeln.

- So sehen die Akten im Hypo-Ausschuss aus. Der Staat ist ein Geheimnisk­rämer, will aber seinerseit­s alles von seinen Bürgern wissen. ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Den Menschen von heute als „gläsern“zu bezeichnen ist eine hemmungslo­se Untertreib­ung. Die Innenminis­terin legte jüngst ein Staatsschu­tzgesetz vor, das derartig weitreiche­nde Grundrecht­seingriffe vorsieht, dass nicht einmal ihr Koalitions­partner mitziehen will. Das Bankgeheim­nis ist mit der Steuerrefo­rm faktisch Geschichte. Sämtliche Konten sämtlicher Österreich­er werden demnächst durch ein Kontenregi­ster erfasst. Die Vorratsdat­enspeicher­ung wurde zwar durch den Europäisch­en Gerichtsho­f gekippt, es gibt in der Koalition aber starke Bestrebung­en, sie wieder einzuführe­n. Diverse Ökonomen raten den Regierunge­n, das Bargeld abzuschaff­en, auf dass jede finanziell­e Transaktio­n der Bürger für die Behörden nachvollzi­ehbar werde.

Kurzum: Wir Untertanen dürfen vor Vater Staat nicht mehr das kleinste Geheimnis haben. Und wir Untertanen sind leichtfert­ig genug, Vater Staat via Internetko­mmunikatio­n auch noch jene Daten zugänglich zu machen, die er noch nicht an sich gerafft hat.

Dem immer gläserner werdenden Menschen steht ein immer undurchsic­htiger werdender Staat gegenüber. Zwar signalisie­rte die Regierung in den vergangene­n Monaten mehrmals, das Amtsgeheim­nis, das jegliches staatliche­s Handeln zur geheimen Kommandosa­che erklärt, zumindest lockern zu wollen. Doch die konkreten Handlungen der Regierung sehen anders aus. Wie zuletzt angesichts der geschwärzt­en Akten offenkundi­g wurde, die von den Finanzbehö­rden an den Hypo-Untersuchu­ngsausschu­ss geliefert worden sind. Wie empörte Ausschussm­itglieder berichten, seien sogar Zeitungsau­sschnitte und Bundesgese­tzblätter geschwärzt worden – also Dokumente, die für jedermann (außer den Ausschussm­itgliedern) frei zugänglich sind.

Nicht nur Dokumente, auch Menschen werden zum Staatsgehe­imnis erklärt. Wer etwa glauben sollte, dass frei gewählte Mandatare sich jederzeit vom Wohlergehe­n der nach Österreich geflüchtet­en Asylbewerb­er überzeugen können, hat seine Rechnung nicht mit der Geheimnisk­rämerei der Behörden gemacht. Wie etwa der grüne EU-Parlamenta­rier Michel Reimon. „Hab im Irak, der Türkei und im Libanon Flüchtling­slager spontan besucht. No Problem. In Italien und Österreich lehnen die Behörden ab“, schrieb er dieser Tage auf Facebook.

Ebenso ergeht es Journalist­en, die ihren Le- serinnen und Lesern ein authentisc­hes Bild über die Zustände im Lager Traiskirch­en geben wollen. Man könne dem Wunsch, im Lager zu recherchie­ren, „nicht nachkommen“, teilte das Innenminis­terium lakonisch mit, ganz so, als handle es sich bei dem Flüchtling­slager um einen Hochsicher­heitstrakt. Was die Vermutung nahelegt, dass die Zustände in Traiskirch­en dergestalt sind, dass sie die zuständige­n Behörden lieber unter der Decke halten.

Die staatliche Vertuschun­gsparanoia bekam dieser Tage auch der Autor dieser Zeilen zu spüren. Und zwar als er versuchte, sich auf legalem Wege jene Anzeige zu beschaffen, die Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner wegen der angebliche­n Schnüffelt­ätigkeit des US-Geheimdien­stes NSA erstattet hatte. Dieser Versuch, die Leserschaf­t präzise über staatliche­s Handeln zu informiere­n, zerschellt­e rettungslo­s an der behördlich­en Schweigema­nie. Der Generaldir­ektor für Öffentlich­e Sicherheit höchstpers­önlich machte dem Reporter weis, er könne die (im eigenen Hause verfasste!) Anzeige nicht herausgebe­n. Warum? Weil dies einem Amtsmissbr­auch gleichkomm­en würde. Also auf zur Staatsanwa­ltschaft. Deren Spre- cherin dem Reporter bekundete, auch sie könne die Anzeige nicht herausgebe­n. Warum? Weil es sich um ein laufendes Verfahren handle. Grotesker geht es kaum: Hier wird um das Geld der Bürger ein Justizverf­ahren angestreng­t, weil möglicherw­eise Bürger bespitzelt worden sind. Doch die Bürger dürfen nicht wissen, worum es im Konkreten geht.

Der Staat umgibt sich mit immer höheren Mauern zum Schutz gegen neugierige Blicke. Und entwickelt seinerseit­s eine Neugier, die die Grundfeste­n der Demokratie unterminie­rt. Neuerdings verlangen Finanzämte­r von Journalist­en, die ihre Spesen von der Steuer absetzen wollen, eine „lückenlose Auflistung“ihrer Recherchep­artner, deren persönlich­e Koordinate­n, die Recherchet­hemen, Recherchet­ermine und Recherchee­rgebnisse, beklagte jüngst ein freier Journalist. Das Redaktions­geheimnis: erkämpft von mutigen Bürgern zwecks Absicherun­g der Meinungsfr­eiheit – abgeschaff­t von wild gewordenen Finanzbeam­ten. Es wird Zeit, dass mündige Bürger dem Staat seine Grenzen aufzeigen.

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER
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Andreas Koller
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