Der Staat als geheime Kommandosache
Die Vertuschungsparanoia des Staates wird immer unerträglicher. Ebenso seine Neigung, uns Untertanen, Pardon: Bürger, auszuschnüffeln.
Den Menschen von heute als „gläsern“zu bezeichnen ist eine hemmungslose Untertreibung. Die Innenministerin legte jüngst ein Staatsschutzgesetz vor, das derartig weitreichende Grundrechtseingriffe vorsieht, dass nicht einmal ihr Koalitionspartner mitziehen will. Das Bankgeheimnis ist mit der Steuerreform faktisch Geschichte. Sämtliche Konten sämtlicher Österreicher werden demnächst durch ein Kontenregister erfasst. Die Vorratsdatenspeicherung wurde zwar durch den Europäischen Gerichtshof gekippt, es gibt in der Koalition aber starke Bestrebungen, sie wieder einzuführen. Diverse Ökonomen raten den Regierungen, das Bargeld abzuschaffen, auf dass jede finanzielle Transaktion der Bürger für die Behörden nachvollziehbar werde.
Kurzum: Wir Untertanen dürfen vor Vater Staat nicht mehr das kleinste Geheimnis haben. Und wir Untertanen sind leichtfertig genug, Vater Staat via Internetkommunikation auch noch jene Daten zugänglich zu machen, die er noch nicht an sich gerafft hat.
Dem immer gläserner werdenden Menschen steht ein immer undurchsichtiger werdender Staat gegenüber. Zwar signalisierte die Regierung in den vergangenen Monaten mehrmals, das Amtsgeheimnis, das jegliches staatliches Handeln zur geheimen Kommandosache erklärt, zumindest lockern zu wollen. Doch die konkreten Handlungen der Regierung sehen anders aus. Wie zuletzt angesichts der geschwärzten Akten offenkundig wurde, die von den Finanzbehörden an den Hypo-Untersuchungsausschuss geliefert worden sind. Wie empörte Ausschussmitglieder berichten, seien sogar Zeitungsausschnitte und Bundesgesetzblätter geschwärzt worden – also Dokumente, die für jedermann (außer den Ausschussmitgliedern) frei zugänglich sind.
Nicht nur Dokumente, auch Menschen werden zum Staatsgeheimnis erklärt. Wer etwa glauben sollte, dass frei gewählte Mandatare sich jederzeit vom Wohlergehen der nach Österreich geflüchteten Asylbewerber überzeugen können, hat seine Rechnung nicht mit der Geheimniskrämerei der Behörden gemacht. Wie etwa der grüne EU-Parlamentarier Michel Reimon. „Hab im Irak, der Türkei und im Libanon Flüchtlingslager spontan besucht. No Problem. In Italien und Österreich lehnen die Behörden ab“, schrieb er dieser Tage auf Facebook.
Ebenso ergeht es Journalisten, die ihren Le- serinnen und Lesern ein authentisches Bild über die Zustände im Lager Traiskirchen geben wollen. Man könne dem Wunsch, im Lager zu recherchieren, „nicht nachkommen“, teilte das Innenministerium lakonisch mit, ganz so, als handle es sich bei dem Flüchtlingslager um einen Hochsicherheitstrakt. Was die Vermutung nahelegt, dass die Zustände in Traiskirchen dergestalt sind, dass sie die zuständigen Behörden lieber unter der Decke halten.
Die staatliche Vertuschungsparanoia bekam dieser Tage auch der Autor dieser Zeilen zu spüren. Und zwar als er versuchte, sich auf legalem Wege jene Anzeige zu beschaffen, die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wegen der angeblichen Schnüffeltätigkeit des US-Geheimdienstes NSA erstattet hatte. Dieser Versuch, die Leserschaft präzise über staatliches Handeln zu informieren, zerschellte rettungslos an der behördlichen Schweigemanie. Der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit höchstpersönlich machte dem Reporter weis, er könne die (im eigenen Hause verfasste!) Anzeige nicht herausgeben. Warum? Weil dies einem Amtsmissbrauch gleichkommen würde. Also auf zur Staatsanwaltschaft. Deren Spre- cherin dem Reporter bekundete, auch sie könne die Anzeige nicht herausgeben. Warum? Weil es sich um ein laufendes Verfahren handle. Grotesker geht es kaum: Hier wird um das Geld der Bürger ein Justizverfahren angestrengt, weil möglicherweise Bürger bespitzelt worden sind. Doch die Bürger dürfen nicht wissen, worum es im Konkreten geht.
Der Staat umgibt sich mit immer höheren Mauern zum Schutz gegen neugierige Blicke. Und entwickelt seinerseits eine Neugier, die die Grundfesten der Demokratie unterminiert. Neuerdings verlangen Finanzämter von Journalisten, die ihre Spesen von der Steuer absetzen wollen, eine „lückenlose Auflistung“ihrer Recherchepartner, deren persönliche Koordinaten, die Recherchethemen, Recherchetermine und Rechercheergebnisse, beklagte jüngst ein freier Journalist. Das Redaktionsgeheimnis: erkämpft von mutigen Bürgern zwecks Absicherung der Meinungsfreiheit – abgeschafft von wild gewordenen Finanzbeamten. Es wird Zeit, dass mündige Bürger dem Staat seine Grenzen aufzeigen.