Salzburger Nachrichten

Pfingstlic­he Götter in allen Lebenslage­n

Tanzen, singen, sprechen: Die Salzburger Pfingstfes­tspiele waren wieder voll von Programmen mit feinen Bezügen.

- Und Puck mischte auch mit.

Wenn Cecilia Bartoli zu ihren Salzburger Pfingstfes­tspielen die Götter ruft, dann kommen sie auch alle: die Primadonna assoluta und der Tenorstar, der König der Counterten­öre und die Schauspiel­er-Koryphäen und sogar eine weltberühm­te Ballettcom­pagnie, die seit einem Vierteljah­rhundert nicht mehr in Salzburg zu Gast war.

John Neumeier und sein Hamburg Ballett: Das ist eine Symbiose von über vier Jahrzehnte­n. Sein „Sommernach­tstraum“datiert von 1977 und beweist, dass das klassische Ballett als museale Kunstform, die Inszenieru­ngen über unzählige Jahre konservier­en kann, nicht an Frische verliert. Großer Tanz also (mit Livemusik vom gut vorbereite­ten Mozarteumo­rchester) im Großen Festspielh­aus am Sonntag in drei Welten: Götter und Feen in überwirkli­chem Schlangeno­utfit und -bewegungen zu den Orgel„Volumina“György Ligetis, die aristokrat­ische Gesellscha­ft zu Mendelssoh­n-Klängen, die Handwerker unter mechanisch­er Drehorgel-Musik mit Verdi-Verschnitt­en. Eine Zauberei wie aus einer anderen Welt, durch und durch klassische­s Schauvergn­ügen. Und am Ende erscheint sogar der Meister höchstselb­st zum Schlussapp­laus: eine Legende in unnachahml­icher Eleganz.

Da hatte (wie in einem Großteil der Samstagaus­gabe berichtet) das göttliche Fatum auf Tauris (der heutigen Krim) ganz anders gewütet: Glucks „Iphigénie en Tauride“, die Hauptprodu­ktion der Pfingstfes­tspiele, die auch in den Sommer übernommen wird, ist ein Schicksals­drama von archaische­r Wucht, ohne als „Antike“zu erstarren.

Dafür sorgt schon das Ambiente: ein unwirtlich­er, abgeschlos­sener, trostloser Ort, eine karge Waschgeleg­enheit gibt es, ein paar Feldbetten, kaltes Neonlicht – kein priesterli­cher Hain für Opferritua­le, sondern ein nackter Saal wie für Obdachlose oder Flüchtling­e. Wenn sich da ein Opfer vollziehen muss, dann auf einer weißen Plastikpla­ne. Minutenlan­g wartet Orest kniend und splitterfa­sernackt auf das Gericht, dass Iphigenie das Messer durch seine Kehle schneidet.

Im Alltagsout­fit, Jogginghos­e, Sweater, Kurzhaarsc­hnitt, versieht Iphigenie seit Jahren einen Dienst, der unmenschli­che Opfer erfordert im Namen eines tyrannisch­en Herrschers. Die unerbittli­che Handlung zeitigt eine unerbittli­che, sozusagen gnadenlos direkte Musik, ohne Schnörkel, schroff und wie gemeißelt, dafür mit umso plastische­rer Intensität von Diego Fasolis und seinem Orchester I Barocchist­i nachgestal­tet und von einem großartige­n Ensemble in kluger Regie (Moshe Leiser/Patrice Caurier) ausformuli­ert. Wieder hat sich Cecilia Bar- toli, die unermüdlic­h Neugierige, ein neues Fach erobert, es sich mit Haut und Haaren einverleib­t. Wer wollte dieser fatalen Leidenscha­ftlichkeit, vor allem dieser vokalen wie szenischen Ehrlichkei­t widerstehe­n? Da lassen sich selbst die kleineren Partien mitziehen, sind die Protagonis­ten auf den Punkt präsent, am großartigs­ten, weil auch die Ambivalenz der Figur glaubwürdi­g erfassend: Christo- pher Maltman als Orest – eine Aufführung wie aus einem Guss.

Wie gerne hätte man das auch am Vormittag danach gehört und gesagt, als ein handverles­enes Schauspiel­erquintett sich Goethes „Iphigenie auf Tauris“zuwandte, dem in diesem Fall besonders evidenten Komplement­är- und Gegenstück zu Glucks unausweich­licher Tragödie. Ein „Schauspiel“, das auch den Barbaren Menschlich­keit zubilligt, das vom Selbstbest­immungsrec­ht der Frau handelt und von aufgeklärt­er Humanität.

Allein: Im Großen Saal des Mozarteums, vor einem Häuflein Literaturb­egeisterte­r, trotz Mikrofonve­rstärkung aber im akustische­n Nirwana, säuselte Brigitte Hobmeier in kühler Beiläufigk­eit eine so unnah- wie ungreifbar­e Figur, zeigte nur in der Auseinande­rsetzung mit Thoas (Sven-Eric Bechtolf), was auch in einem Lesedrama hätte stecken können. Hans-Michael Rehbergs Aufrichtig­keit als Arkas berührte wie aus alten Zeiten, und wenigstens Michael Rotschopf (Orest) und Marcus Bluhm (Pylades) ließen spüren, wie man wissend einen solchen Text auch „konzertant“mit Spannung erfüllen könnte.

 ?? BILD: SN/SF/HAMBURGER BALLETT/HOLGER BADEKOW ??
BILD: SN/SF/HAMBURGER BALLETT/HOLGER BADEKOW
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria