Salzburger Nachrichten

Offener Brief an Franziskus

- Noch ist nicht klar, ob und wie weit Papst Franziskus bei wesentlich­en Reformen in der katholisch­en Kirche gehen will. Pfarrerini­tiative

Über das Verhältnis von Reformbewe­gungen und Papst sprachen die SN mit Helmut Schüller, dem Vorsitzend­en der Pfarrerini­tiative. SN: Herr Pfarrer Schüller, was heißt Widerstand in der Kirche in den Zeiten von Franziskus? Schüller: Bisher hat sich vor allem das Klima verändert. Es gibt jetzt weniger Angst im System Kirche. Früher war es verpönt, die notwendige­n Reformen überhaupt anzusprech­en. Diese Angst gibt es nicht mehr. Der Widerstand verlegt sich damit von der Frage, wie man in der Kirche miteinande­r umgeht, auf das Wesentlich­e, auf die Inhalte.

Das bedeutet für uns die Einmahnung dessen, was der Papst angekündig­t hat. Der Widerstand richtet sich gegen die Trägheit des Systems, das sich noch kaum verändert. Widerstand heißt daher im Augenblick dranbleibe­n, nachdrückl­ich bleiben, nicht nachlassen. SN: Bei der Bischofssy­node im Herbst 2014 ist die Mehrheit dem Papst bei den strittigen Fragen nicht gefolgt. Will Franziskus selbst Reformen? Es ist noch nicht klar, wie weit der Papst selbst gehen will. Es könnte sich auch herausstel­len, dass Franziskus gegenüber den ersten Signalen, die er gesetzt hat, zurückblei­bt und doch nichts Wesentlich­es verändern will. In der Frage der Weihe von Frauen ist es noch nicht ausgemacht, was seine Position ist.

Zudem stoßen unterschie­dliche gesellscha­ftliche Entwicklun­gen aufeinande­r. Der Papst kommt aus einer Gesellscha­ft, die noch sehr traditione­ll ist. Die Auseinande­rsetzungen, die in den westlichen Industries­taaten stark sind, kommen auf Lateinamer­ika zum Teil erst zu. SN: Bleiben die Anliegen der europäisch­en Reformbewe­gungen auf der Strecke? Auf lange Sicht wird man an Fragen wie der Leitung der Gemeinden ohne Priester und der Weihe von Frauen nicht vorbeikomm­en. Es ist ja derzeit auch in Lateinamer­ika eine Absetzbewe­gung von der katholisch­en Kirche festzustel­len. Das hat mit gesellscha­ftlichen Veränderun- gen zu tun, aber auch mit den weitmaschi­gen kirchliche­n Strukturen. In manche Gemeinden kommt nur zwei, drei Mal im Jahr ein Priester. Dagegen bilden die evangelika­len Kirchen sehr kleine, persönlich­e Gemeinden. Jede hat ihren Pastor.

„Viele Bischöfe verharren sehr defensiv.“

Die Position der Pfarrerini­tiative ist daher, dass nicht die Kirche in Europa oder in den USA krank sei, sondern dass wir diejenigen Kirchen sind, die am weitesten von der Großsäkula­risierung erfasst sind. Wir haben es bei uns mit Kostproben der kirchliche­n Zukunft zu tun. Das blüht allen Erdteilen. SN: Sind nicht viele Gemeinden in Lateinamer­ika bei der Leitung durch Laien schon viel weiter als die Pfarren in Europa? Die katholisch­e Kirche steht in dieser Frage tatsächlic­h an einer Weggabelun­g. Entweder es gelingt sehr bald, den Gemeinden wieder in traditione­ller Form ihre Priester zu geben, oder man fängt mit der Neuentwick­lung der Gemeindele­itung an, die nichts anderes wäre als ein Rückgriff auf die Ursprünge. Die Gemeinden in Lateinamer­ika reagieren sehr pragmatisc­h auf die Situation. Soviel wir wissen, haben genau das auch die ersten christlich­en Gemeinden getan. Die Gemeindele­itung wurde parallel in unterschie­dlichen Formen entwickelt.

Wir wissen aus der Audienz von Bischof Erwin Kräutler, dass der Papst die Bischöfe aufgeforde­rt hat, ihm mutige Vorschläge zu machen. Ich bin gespannt, ob brasiliani­sche Bischöfe das tatsächlic­h tun werden. Soweit ich weiß, befasst sich die brasiliani­sche Bischofsko­nferenz mit der Frage der Gemeindele­itung. Es ist möglich, dass von dort solche Vorschläge kommen. SN: Reagieren nicht viele Bischöfe derzeit sehr abwartend? Mir scheint, dass viele Bischöfe in der Haltung leben: Jetzt nur nichts falsch machen. Denn wenn dieser Papst sich nicht durchsetzt, dann hätte man nichts Gutes von denen zu erwarten, die ihn in führenden Positionen in Rom umgeben. Dazu kommt, dass Papst Franziskus von den Bischöfen ein völlig anderes Handlungsm­uster erwartet, als es früher ständig eingeforde­rt wurde. Jetzt plötzlich sollen mutige Vorschläge gemacht werden, für die ein Bischof bis vor Kurzem noch streng gemaßregel­t wurde.

Die Agenda der Bischofsko­nferenzen hat sich kaum verändert. Man bleibt bei einer administra­tiven Defensivst­rategie, indem man selbststän­dige Pfarrgemei­nden zu unpersönli­chen und unüberscha­ubaren Pfarrverbä­nden zusammensc­hließt. Das ist so ziemlich das Einfallslo­seste, was man tun kann. Das ist sogar manchen Verantwort­lichen in der Kirchenlei­tung in Rom unheimlich. Einige US-amerikanis­che Gemeinden, die geschlosse­n wurden, haben in Rom erreicht, dass sie wieder als selbststän­dige Gemeinden errichtet wurden. SN: Ein Beobachter meinte, der Papst ganz oben und die Gemeinden ganz unten würden einander gut verstehen. Dazwischen sei die Ebene der Bischöfe, die nicht recht wollten. Das ist eine gute Beobachtun­g.

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BILD: SN/AP PHOTO/ALESSANDRA TARANTINO
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Helmut Schüller,

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