Der Kreml lässt seinem Mann im Kaukasus freie Hand
Dass im Kaukasus der Wille von Frauen bei der Hochzeit nicht zählt, ist bekannt. Dass hohe Vertreter Russlands derlei decken, ist aber neu.
Das Mädchen ist 17 Jahre alt und hat einen gleichaltrigen Freund. Die Familie mag den Burschen. Dann aber kommt ein 47-jähriger Polizeioberst daher, verheiratet und Vater erwachsener Söhne, der beschließt, das Mädchen als Zweitfrau zu nehmen. Zunächst leisten das Mädchen, der Bursche und die Familie des Mädchens Widerstand. Doch der Oberst hat die Unterstützung des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow und nutzt diese Tatsache auf seine Weise: Der Bursche wird verfolgt und bedroht. Die Familie des Mädchens wird unter unglaublichen Druck gesetzt, das ganze Dorf in Geiselhaft genommen – und das so lang, bis die Eltern des Mädchens nachgeben und das noch nicht volljährige Kind an den älteren Mann verkauft wird.
Gegen ihren Willen wird das Mädchen auf das Standesamt geschleppt und mit dem Oberst verheiratet. Präsident Kadyrow persönlich kommt zur anschließenden Hochzeitsfeier.
Tschetschenien ist ein Teil Russlands. Und Russland hat zwei blutige Kriege geführt, um diesen Status Tschetscheniens zu bestätigen. Nach russischem Gesetz ist das zwangsverheiratete Mädchen minderjährig, und nach russischem Gesetz ist die Vielehe verboten.
In diesem Fall werden beide Gesetze gebrochen – mit ausdrücklicher Billigung des tschetschenischen Präsidenten. Und was tut Moskau? Moskau schweigt dazu. Noch interessanter: Die russisch-orthodoxe Kirche, die dies ebenfalls als Gesetzesbruch ansehen müsste, lässt ihren Sprecher etwas von Traditionen erzählen, die es zu respektieren gelte. Menschenrechte? Nicht für Frauen offenbar. Kinderrechte auch nicht. Kadyrow schafft mit der stillschweigenden Genehmigung durch den Kreml in Tschetschenien eine Art islamischen Staat – innerhalb Russlands. Dass aber sogar die Kreml-loyale russisch-orthodoxe Kirche diese Zwangsehe indirekt gutheißt, macht aus der traurigen Geschichte eines armen tschetschenischen Mädchens einen politischen Skandal.
Bevor das Kind aufs Standesamt geschleppt wurde, hatte es in Tschetschenien und in Russland Proteste von Menschenrechtsorganisationen gegeben. Die aber werden ja heute in Russland als „ausländische Agenten“und damit als Feinde abqualifiziert. Weshalb der Kreml auch nicht reagierte, sondern stattdessen eine offenkundige Gesetzesverletzung tolerierte.