„Shakespeare gibt’s gar nicht“
Frank Günther hat alles von Shakespeare übersetzt. Je mehr er das tut, desto mehr verschwindet der Meister.
Zwei Kleinigkeiten fehlen noch. „König Johann“und „Perikles“. Eher unbekannte Werke im Gegensatz zu „Viel Lärm um nichts“, „Romeo und Julia“oder „Hamlet“. Aber auch die beiden Stücke müssen noch sein. Wenn schon, dann alles: 37 Dramen. Wenn er sie fertig übersetzt haben wird, wird Frank Günther eine einsame Leistung vollbracht haben. Dann ist er der Einzige, der den kompletten, dramatischen Shakespeare ins Deutsche übertragen hat. Dann bleiben noch Sonette und Versepen – oder „der wahrscheinlich verdiente Ruhestand“, wie Günther sagt.
Tief eingetaucht ist Günther in die Shakespeare-Welt, so tief, dass er mit seinem Buch „Unser Shakespeare“, das im Vorjahr zum 450. Geburtstag des Dramatikers erschienen ist, auch gescheite und höchst vergnügliche Abende über den meistgespielten Dramatiker der Welt abhält – wie beim Literaturfest Salzburg in dieser Woche.
Am Schreibtisch. Eine Lampe. Der Bildschirm und rundherum jede Menge Bücher, ein paar alte Übersetzungen, Erich Fried, den Klassiker von Schlegel und Tieck. Und das alles nachts. Da läutet kein Telefon. Und es bestehe auch nicht „die Gefahr, durch schönes Wetter abgelenkt, also aus dem Haus gezogen oder irgendwie aufgehalten zu werden“, sagt Günther. Aufgehalten wird er ohnehin Wort für Wort. Und dann, nach langem Hin und Her komme manchmal „so ein Moment, fast ein orgasmischer, in dem man sieht: Hoppla, so kann es gehen!“
Seit Ende der 1970er-Jahre werkte er in Shakespeares Wortsteinbruch. Wie viele Worte er drehte und wendete, kann Günther nicht sagen. Aber rund 60.000 Blankverse brachte er ins Deutsche. Seine Übersetzungen werden an vielen Bühnen gespielt, haben die romantischen Zugänge von Schlegel und Tieck abgelöst. Und über das Theater ist er auch zu der Mammutaufgabe gekommen. „Unter Zwang“, wie er sagt. Denn: „Wer macht denn schon etwas, das so vielen anderen zuvor auch nicht gelungen ist?“
Neben seiner Arbeit als Regisseur übersetzte er einst Werke zweier unbekannterer Zeitgenossen Shakespeares. Ans Theater schafften es die Stücke nicht. Aber der Verleger war begeistert und meinte, Günther müsse Shakespeare übersetzen. Dann kam ein Auftrag nach dem anderen. Zunächst verlegte dtv. Mittlerweile erscheinen die Übersetzungen im kleinen fränkischen Verlag ars vivendi in fein gemachten Ausgaben. Shakespeare, für den Günther eine neue Sprache gefunden hat, war diesem über die Jahre ein „schattenhafter Lebensgefährte“geworden – und keiner, der es einem leicht machte.
Da breite sich über die Arbeit bisweilen eine „Überwältigungsintensität“. Und klar sei, „es reicht hier nicht, dass man bloß versteht, was da geschrieben steht“. Der Anglist Frank Günther kann einem vor diesem Berg an Worten und Reimen allerdings deutlich machen, wie man Wörtliches manchmal falsch über- setzen muss, damit es seinen richtigen Sinn behalten kann, oder wie es funktionieren kann, das bewusst Falsche im Original so akkurat richtig zu übersetzen, dass manche schwer nachvollziehbaren Plaudereien in diesen Stücken herrlich falsch bleiben können. Was dann bei vielen Inszenierungen sprachwitzig und treffsicher klingt, ist zuvor die Hölle des Übersetzers.
Es gibt keine Muster, die sich über die Werke legen ließen. Kein Drama funktioniert sprachlich wie ein anderes. Im „Sommernachtstraum“sei es etwa die „Akrobatik in der Reimtechnik“, mit der das Spiel getrieben werde. Bei „King Lear“hingegen komme es eher darauf an, wie fürchterlich die Verhältnisse der Figuren zueinander sich verschränkten. Mit reinem Übersetzen allein gehe da nichts weiter. Man schaffe sich im Lauf der Jahre aber einen „eigenen Kanon an Überlegungen“. So verschwinden auch die schon vorhandenen Übersetzungen. Von jedem Übersetzer kenne er die Arbeit, sagt Günther. Aber er will kein Potpourri aus dem Vorhanden schaffen. Beim Studium alter Übersetzungen geht es darum, drauf zu kommen, wie die Autoren den Texten begegnet sind, wie sie ihre Arbeit strukturiert haben.
Das „Prinzip der Vieldeutigkeit und der Uneindeutigkeiten“, nach denen diese Werke geschrieben sind, lässt sich nicht einfach in eine andere Sprache übertragen. Die Fantasie, die in vielen Redewendungen befeuert wird, die zwischen den Zeilen auftauchen kann beim Hören oder Lesen, die gilt es in eine neue Sprache mitzunehmen. Ein Lieblingsstück gibt es deshalb auch nicht. „Alles war schwer“, sagt Günther über die Idee, Shakespeares poetische Strategien beizubehalten – bloß in einer anderen Sprache.
Die Person, die diese Stücke schrieb – oder besser: die wohl recht vielen, die zum Teil an diesem Werk arbeiteten – ist ebenso schwer zu fassen. Und sie interessiert Günther auch nur so weit, als er sich auch mit Fragen der Urheberschaft beschäftigen muss. Das Biografische, die historisch ziemlich im Dunklen liegende Person, spielt für die Dramatik der Werke ohnehin keine Rolle. Das liege daran, dass dieser Shakespeare als Autor „ja völlig in den Texten untertaucht“. Haltungen, Ideen, Handlungen oder Glaubensgebäude geben nie etwas von ihrem Schöpfer preis. Sie dienen ausschließlich dem Fortgang der Geschichte, der Interaktion und der Psychologie der Figuren. Was hier zu übersetzen sei, beziehe sich immer ausschließlich auf die Geschichte selbst. Er kenne keinen Autor, der auf diese vollkommene Art „in einem Nebel aus Worten“verschwinden könne. „Den Shakespeare gibt es in seinen Werken gar nicht“, sagt Günther.
Festival. Literaturfest Salzburg
Lesung:
„Wer macht denn so was freiwillig?“
ab heute, Mittwoch, bis Sonntag. Unter anderem lesen zum Motto „Über Grenzen“Harald Martenstein, Marlene Streeruwitz, Karl Markus Gauß und Arno Geiger.
Frank Günther, „Unser Shakespeare“, 30. Mai, 16 Uhr, ARGEkultur Salzburg.