Schriftsteller stehlen und saugen andere aus
Doris Dörrie erzählt in ihrem neuen Roman von der Sehnsucht wie dem Leid des Schreibens.
Schauspieler werden! Bilder malen und ausstellen! Oder gar: Ein Buch schreiben! Ein Kunstwerk zu schaffen ist vieler Menschen Traum. Und Doris Dörrie – selbst Regisseurin und Schriftstellerin – spürt in ihrem neuen Buch den irdischen Weg zu diesem hehren Ziel auf. Ihr kleiner Roman ist witzig, klug und pragmatisch, weil sie ihn mit ihren Erfahrungen als Autorin gespickt hat – etwa mit der Aufforderung an jene, die am Fehlen ihres ersten Satzes verzweifeln: „Nicht weinen. Schreiben!“Wer eine Schreibblockade habe, solle nicht den Kühlschrank leer essen, nicht putzen, nicht telefonieren, sondern sitzen bleiben und: „Nicht heulen. Schreiben.“
Doris Dörrie enthüllt triviale Alltäglichkeiten sowie kostbare Geheimnisse des Schreibens, indem sie von zwei schreibenden US-Ame- rikanerinnen erzählt: einer bereits arrivierten Autorin sowie einer zunächst naiven Göre, die mit einem verheirateten Schönheitschirurgen auf Urlaub fährt und zwei törichte Pläne hegt – dass aus dieser Seitensprung-Liaison eine dauerhafte Be- ziehung werden könnte und dass sie als Schriftstellerin eines Tages berühmt würde. Die beiden Frauen begegnen einander in einem offenbar traumhaften „Vier-Sterne-Hotel hoch auf den Klippen“in Mexiko.
Die Jüngere, die Doris Dörrie zur Ich-Erzählerin macht, ist von Eleganz und Disziplin der Älteren erst beeindruckt. Dann, als sie deren Profession erfährt, himmelt sie diese als „meine Meisterin“an, der sie nachstrebt. Auch ihr gelingt der Weg in die Schriftstellerei. Der Ro- man spannt sich bis zu deren neuerlicher Reise nach Mexiko, Jahrzehnte später und diesmal im Rahmen eines Literaturstipendiums.
Doris Dörrie erzählt von den vermeintlich einzigartigen, einsamen Gefühlen eines künstlerisch Schaffenden – Leere sowie Diskrepanz zwischen Wunsch und Umsetzungskraft. Wer die Leere fürchtet, den tröstet Doris Dörrie mit Sätzen wie: „Schreiben ist wie Unterwassertätigkeit.“Und um diese Diskrepanz zu überbrücken, um also das Leid an der Einfallslosigkeit zu lindern, verfallen viele dem, was im Buchtitel steht: Sie stehlen Geschichten, saugen anderer Gefühle und Erlebnisse aus. Folglich empfiehlt die Ich-Erzählerin: „Schriftstellern sollte man aus dem Weg gehen. Sie sind Diebe und Vampire.“
Oft allerdings genügt solche Skrupellosigkeit nicht. Ohne Fantasie, ohne Fiktion bleibt eine Geschichte schal. Und viel nützt das Wissen um das von Doris Dörries Heldin preisgegebene Handwerkszeug – etwa dass gegen Schreibblockade hilft, zehn Minuten unkontrolliert Gedanken aufzuschreiben, oder dass der Mythenforscher Joseph Campbell ein seit Jahrhunderten taugliches Rezept der Heldenfahrt eruiert hat: von Ruf über Aufbruch, Prüfung, Initiation bis Rückkehr. Siehe da! In „Diebe und Vampire“sind davon Ingredienzien. So ist dies eine raffinierte, für Schreibwillige wie Lesedurstige anregende Erzählung.