Salzburger Nachrichten

Der wirbelnde Tanz braucht die Mitte

Pinselstri­che und Fantasie können Füße in Bewegung bringen.

- Georg Baselitz & Emilio Vedova, Galerie Ropac, Salzburg, bis 11. Juli.

SALZBURG. Georg Baselitz hat erneut zu seinem seit den 1960er-Jahren bestehende­n Leitmotiv gegriffen: dem Fuß. Der Künstler lässt die Beine in einem wilden, aber immer wieder abgehackte­n Tanz wirbeln. Wie Windmühlen rotieren sie, und durch die Geschwindi­gkeit und Beschleuni­gung ihrer Bewegung werden sie zu abstrahier­ten Schwüngen. Das Figurative der Beine wird aus der Realität gewirbelt, die Einzelteil­e des Bildes werden zu Chiffren für eine nur in der Vorstellun­g nachvollzi­ehbare Idee.

Die Bildmitte allerdings, in der die Beine in ihrem Wirbel aneinander stoßen müssten, bleibt diffus – einmal ist es ein Fleck, der die Wahrnehmun­g einer dunklen Öffnung erzeugt, ein anderes Mal wird daraus ein Knäuel grauer Farbschlie­ren, die das Dahinterli­egende verdecken. „Füße sind meine Erdung, mir ist die Erdung wichtiger als die Sendung“, sagt Baselitz. „Das Empfangen über Erdung funktionie­rt bei mir viel besser als über Antenne – ich habe vielleicht mehr zu tun mit den Trollen als mit den Engeln, wer weiß.“Für Georg Baselitz steht der Fuß sowohl im Zentrum seiner Wahrnehmun­g als auch im Bildmittel­punkt seiner Malerei.

Diese neuen Bilder des deutschen Malers zeigt die Galerie Ropac in einer Doppelauss­tellung – in Zusammenar­beit mit der Fondazione Emilio e Annabianca Vedova. Dabei wird die neuen Werkserie „Ma grigio“von Georg Baselitz (geboren 1939) mit Bildern aus den 1980erJahr­en des Venezianer­s Emilio Vedova (1919–2006) vereint.

Bei der Tanz-Serie „Ma grigio“von Georg Baselitz geht es um die Thematisie­rung des Zentrums. Und auch für Emilio Vedova war die „Allgegenwa­rt des Zentrums“ein wichtiger Begriff, um Kunst zu schaffen und um sie zu verstehen. Immer von einem Zentrum aus, das für ihn reale Ereignisse, Erlebtes und oft das Leiden des Menschen unter politische­r Repression waren, hat Emilio Vedova, der im Zweiten Weltkrieg Widerstand­skämpfer war, seine Sprünge als Künstler vollzogen. Er befasste sich mit dem Experiment, der Collage, der Malerei auf Leinwänden, aber auch der in den Raum übergehend­en Malerei. Er baute Installati­onen aus hölzernen bemalten Scheiben, Brettern und Verschnüru­ngen, in die der Mensch agierend eingebunde­n wurde. Wild „gezimmerte“und wild gemalte Werke von großer Dynamik sind es, die der hünenhafte Vedova schuf. Von Ungeduld, Revolte und Risikobere­itschaft sprechen seine Werke, denen die Anarchie gegenüber künstleris­chen Regeln und die ethische Haltung des Men- schen eigen ist. Seine Malerei, die sich in ihren Ausmaßen an der Körpergröß­e des Künstlers ausrichtet, ist formal ungegenstä­ndlich. Und sie ist Fragment. Trotz ihrer Abstraktio­n ist sie ein „Hinabtauch­en ins Reale, das sich kontinuier­lich weiter verändert“, wie Vedova in einer schriftlic­hen Überlegung festgehalt­en hat. Er war seit den 80erJahren eine Integratio­nsfigur für die junge neoexpress­ive Künstlerge­neration; zwei Jahrzehnte vorher – von 1965 bis 1969 – war er in Salzburg begehrter Leiter der Malereikla­sse der Sommerakad­emie.

Ausstellun­g:

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BILD: SN/ROPAC/J. LITTKEMANN Georg Baselitz bringt mit Tinte auf Papier Beine und Füße zum Tanzen – „Ohne Titel“aus 2015.

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