Im All ist es den Menschen zu heiß
Neu entwickelte Techniken der Weltraummedizin finden praktischen Nutzen in Krankenhäusern auf der Erde.
WIEN. Eine neue Technologie, die heute bei Herzoperationen genutzt wird und bei einem breiteren Einsatz als bisher Krankenhausrechnungen um Millionen Euro reduzieren könnte, wurde im All erfunden. Entwickelt hat die Technik, die Körpertemperatur zu messen, HannsChristian Gunga. Er arbeitet am Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten in Berlin und erforscht, wie sich Menschen an außergewöhnliche Bedingungen anpassen. Er wollte wissen, was mit der Körpertemperatur eines Astronauten im All passiert. Die Antwort: ISS-Besatzungsmitgliedern ist es oft zu heiß, weil sie sich im schwerelosen Raum aufhalten.
Auf der Erde verlieren die Menschen einen großen Teil ihrer Körpertemperatur durch die Konvektion. Das bedeutet, dass sich die Luft am warmen Körper des Menschen ebenfalls erwärmt und aufsteigt. Warme Luft steigt nämlich immer auf, weil sie durch ihre Ausdehnung leichter wird, während kühle Luft nach unten sinkt.
Zurück zum Menschen auf der Erde: Die Luft um ihn herum erwärmt sich also und steigt auf. Sie wird sogleich durch kühlere Luft ersetzt und der Kreislauf beginnt von Neuem. An einem heißen Sommertag kann das Einschalten eines Ventilators den Prozess beschleunigen und den Organismus so schneller herunterkühlen, da die Luft über den Körper streicht und so schneller einen Teil der Körperwärme wegnimmt. Auf der Internationalen Raumstation ISS gibt es wegen der dort herrschenden Schwerelosigkeit keine Konvektion. Seit dem Beginn der Raumfahrt berichten Astronauten daher, dass ihnen im Weltraum heiß ist. „Mir war besonders während des Trainings sehr warm, danach habe ich mich immer in Richtung eines Ventilators bewegt, um mich abzukühlen“, erzählt etwa der niederländische ESA-Astronaut und Weltraummedi- ziner André Kuipers. Um genau zu verstehen, was mit den Astronauten im All passiert, müsste man ihre Körpertemperaturen kontinuierlich über eine lange Zeitspanne kontrollieren. So wurde das Thermolab-Experiment geboren. Ein Thermometer gibt unterschiedliche Angaben zur Körpertemperatur, je nachdem, an welcher Körperstelle und zu welchem Zeitpunkt man misst. So ist die Körpertemperatur in den Füßen niedriger als in anderen Körpertei- len. Am niedrigsten ist die Temperatur zwischen vier und sechs Uhr morgens. Um die Messungen möglichst praktisch die für ISS-Crew zu gestalten, wendete Gunga eine neue Messmethode an, die er für Feuerwehrleute entwickelt hatte. Dabei wird die Körperwärme gemessen, die von der Stirn ausgestrahlt wird.
Elf mit diesen Sensoren ausgestattete Astronauten zeichneten ihre Temperatur in zwei Sitzungen auf, das erste Mal, nachdem sie drei Monate im Weltraum verbracht hatten, das zweite Mal, kurz bevor sie zur Erde zurückkehrten.
Der Sensor funktioniert so gut, dass er unter extremen Bedingungen eingesetzt wird, etwa von Feuerwehrleuten, aber auch in der Antarktis und in der Mars500-Studie, in der Bedingungen bei einer Marsexpedition simuliert wurden.
Ein Thermometer, das aus der Ferne abgelesen werden kann und kontinuierlich äußerst genaue Daten aufzeichnet, hat ein enormes Potenzial. Der Sensor wird bereits bei Operationen am offenen Herzen von Kindern eingesetzt, aber auch ganz allgemein, da er eine bessere und kostengünstigere Patientenüberwachung ermöglicht.
Das Experiment an den ISS-Besatzungsmitgliedern hat gezeigt, dass die Körpertemperatur von Astronauten um ein Grad Celsius höher ist als die anderer Menschen. Sie steigt während der ersten zwei Monate im All und wird erst wieder normal, wenn sie zurück auf der Erde sind. Vergleicht man die Daten mit denen anderer Studien, zeigt sich eine Korrelation mit Interleukin-1, einem Hormon, das bei kranken Menschen Fieber verursacht. Steigt die Körpertemperatur um ein Grad, braucht der Mensch 20 Prozent mehr Energie, die er aus seiner Nahrung ziehen muss.
Die Planer von Weltraummissionen brauchen noch mehr Informationen über dieses Wärmephänomen, um den Nahrungsvorrat für lange Einsätze besser einschätzen zu können.