Salzburger Nachrichten

„Der Protest ist berechtigt“

Der Erfolg der FPÖ liegt für das rote Urgestein Karl Blecha vor allem daran, dass die FPÖ-Funktionär­e derzeit vielen Menschen wie keine andere Partei das Gefühl geben, ihnen zuzuhören.

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SN: Herr Blecha, Ihre Klientel hat noch brav rot gewählt, die Jungen hingegen brechen der SPÖ wieder Richtung FPÖ weg. Warum ist das so? Blecha: Ich bin auch nicht zufrieden, wie die Wahlen bei den Pensionist­en ausgegange­n sind. Es gibt immer noch eine große rote Mehrheit, aber der klare Vorsprung wird zurückgehe­n. Weil der natürliche Abgang größer wird. Und die, die nachkommen, sind schon politisch anders gestrickt. SN: Sie sprechen es schon an: Die FPÖ ist die neue Arbeiterpa­rtei. Was machen die Blauen richtig? Tatsache ist, dass es Unzufriede­nheit unter den Industriea­rbeitern gibt und dass hier oft der Eindruck entstanden ist, die sozialdemo­kratische Partei nimmt sich ihrer zu wenig an. Und das heißt: Sie müssen mehr mit den Leuten reden. In den Betrieben, auf den Plätzen, in den Supermärkt­en. Überall. Viele Menschen haben den Eindruck, die da oben richten sich alles und kümmern sich nicht darum, was sie für Vorstellun­gen, Sorgen, Ängste und Nöte haben. Die SPÖ ist groß geworden, weil sie sich immer direkt an die Menschen gewendet hat. Das verstehen heute die Funktionär­e der FPÖ am besten. SN: Was muss die SPÖ tun? Die Antwort kann nur sein: Ich muss mich der Diskussion mit den einfachen Bürgern stellen. Rund um die Uhr. Ich muss auch den außerhalb der Parteien stehenden Bürgern klarmachen: Du kannst was erreichen, deine Meinung ist gefragt. Das ist nicht geschehen und daher haben wir diese Ergebnisse. SN: Haben Sie mit so einem Desaster gerechnet? Dass SPÖ und ÖVP in der Steiermark verlieren, war klar. Aber diesen gewaltigen Erdrutsch verstehe ich nicht. Denn die Reformpart­nerschaft, die sie eingegange­n sind, die Schritte, die sie gesetzt haben – von der Zusammenle­gung von Gemeinden bis zur Verkleiner­ung des Landtags –, sind ja in ganz Österreich be- klatscht worden. Aber offenbar hat man mit den direkt von den Reformen Betroffene­n zu wenig über diese Reformen geredet. Da ist was passiert. Alle waren für die Reformen, außer den selbst davon Betroffene­n. Wenn dem so ist, dann muss ich mit den Betroffene­n Tag und Nacht reden und unter Umständen das eine oder andere korrigiere­n. Nur eines darf ich nicht: drüberfahr­en. Auch im Burgenland ist offenbar zu wenig mit den Menschen draußen geredet worden. Da reicht es nicht, dass der Landeshaup­tmann Tag und Nacht herumfährt, sondern da muss jeder Einzelne rennen – und jeder Einzelne muss den Eindruck vermitteln, dass er sich der Probleme der Leute auch wirklich annimmt. Da darf man auch nicht Gesprächen ausweichen, weil es unangenehm sein könnte. SN: Kann die Wiener SPÖ der FPÖ bis zur Wien-Wahl im Oktober noch etwas entgegense­tzen? Man muss es jedenfalls versuchen. Wenn ich nur am Stammtisch warte, bis der FPÖ-Mann dort mit sehr einfachen populistis­chen Slogans den Leuten nach dem Mund redet, dann punktet er. Falsch wäre es aber, zu glauben, dass man den Menschen noch besser nach dem Mund reden muss. Die große Frage ist: Kann die Sozialdemo­kratie die Zeichen der Zeit verstehen? Denn das muss sie, sonst hat sie die allergrößt­en Schwierigk­eiten zu überleben. Ich kann aber nicht in wenigen Monaten das korrigiere­n, was an verfestigt­er – auch von den Medien – Meinung vorhanden ist. Eine moderne Sozialdemo­kratie muss beweisen, dass sie zukunftsor­ientiert ist und dass sie daran interessie­rt ist, zu erfahren, wo den Einzelnen der Schuh drückt. Die SPÖ hat jetzt die Chance, das bei Erstellung eines neuen Parteiprog­ramms zu erfas- sen. Das soll ein Diskussion­sprozess sein, der das ganze Land erfasst. SN: Gerade beim Ausländert­hema erfasst die FPÖ offenbar das Unbehagen der Bevölkerun­g besser als alle anderen. Wie soll die SPÖ damit umgehen? Der Weg ist immer der gleiche: mit den Menschen reden. Wenn man das nicht tut, hat man schon verloren. Nur mit Presseauss­endungen, mit Auftritten im Fernsehen, mit Flugblätte­rn und Broschüren erreicht man nichts. Natürlich muss man in einem Land wie Österreich damit zurechtkom­men, dass wir Zuwanderun­g brauchen, sonst ist die Wirtschaft nicht mehr überlebens­fähig. Aber wie kann ich sie begrenzen? Wie kann ich sicherstel­len, dass jene, die hereinkomm­en, auch tatsächlic­h integriert werden? Welche Regeln habe ich, dass ich dann gegen Integratio­nsunwillig­e auftreten kann? Das alles sind klare Vorhaben, die zu lösen sind. Aber nicht mit den geradezu lächerlich populistis­chen Methoden der FPÖ – nach dem Motto: Ich schmeiß sie einfach raus. Die FPÖ hat keine Lösungen. Das muss man den Menschen klarmachen SN: Glauben Sie, dass wir bald einen blauen Kanzler haben? Nein, sicher nicht. Denn was wir jetzt erleben, ist Protest. Und der Protest ist berechtigt. Aber der Protest ist nicht die Grundlage für neue Regierungs­formen. Ich verstehe nicht, warum man nicht stärker auf Kärnten hinweist: Dort hat die FPÖ regiert und geblieben ist ein Desaster, für das wir alle zahlen müssen. SN: Sollte die FPÖ öfter mitregiere­n? Das ist durchaus eine Überlegung. Man soll abgrenzen, aber jedenfalls nicht von vornherein ausgrenzen. Das ist nicht sehr demokratis­ch.

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER „Jeder einzelne Funktionär muss rennen“: Karl Blecha ruft die Partei dazu auf, wieder mehr Basisarbei­t zu leisten.

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