Assad sucht verzweifelt einen Ausweg
Syriens Präsident wurde schon oft totgesagt. Doch nun mehren sich die Anzeichen, dass das Regime von Baschar al-Assad schwächelt. Russische Berater verlassen angeblich das Land.
Es wäre nicht die erste verfrühte Siegesmeldung. „Ich versichere Ihnen: Assads Sturz wird nicht mehr lang auf sich warten lassen“, beteuerte der Chef der islamistischen Al-Nusra-Miliz, die in Syrien gegen das Regime in Damaskus kämpft, dieser Tage. Tatsächlich könnten der blutigste Konflikt in Nahost seit Jahrzehnten und die schlimmste humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts vor einer entscheidenden Phase stehen.
Konnte das Regime von Baschar al-Assad sich früher auf wenige Brennpunkte konzentrieren, muss es inzwischen an vielen Fronten kämpfen. Längst gehören Gefechte rund um Damaskus zum Alltag. Auch Assads Hochburg Latakia an der Mittelmeerküste wird immer öfter Ziel von Angriffen. Im Mai fiel die Stadt Idlib im Norden, im Süden eroberte der „Islamische Staat“(IS) die Stadt Tadmor. So entscheidend war die Niederlage, dass Syriens staatliches Fernsehen erstmals kei- ne „baldige Rückeroberung“in Aussicht stellte, sondern schlicht vom „Rückzug“berichtete. Assads Gegner sind immer besser gerüstet und stimmen ihre Handlungen immer besser untereinander ab. Das bekommen auch die Verbündeten des Regimes in Damaskus zu spüren.
Mehrere Faktoren hielten den Präsidenten bislang an der Macht: politische Rückendeckung und logistische Hilfe aus Russland, massive militärische Unterstützung aus dem Iran und von der libanesischen Hisbollah-Miliz sowie die Bereitschaft von Syriens Minderheiten, auf Assads Seite mitzukämpfen, weil sie die radikalen islamischen Milizen mehr fürchteten als Assads Truppen.
Doch soll laut einem unbestätigten Bericht der arabischen Zeitung „Ashar al Aussat“Russland die Hälfte seines diplomatischen Personals aus Damaskus abgezogen haben. Mehr als 100 Militärberater und ihre Familien hätten Syrien verlassen, schrieb das Blatt. Zudem soll Moskau die Wartung der Sukhoi-Bom- ber der syrischen Luftwaffe gestoppt haben – einer der wichtigsten Waffen des syrischen Regimes. Verteidigungsminister Dschassem al-Fredsch soll eiligst nach Teheran gereist sein, um den Iran zu bitten, in Moskau zu intervenieren.
Arabische Medien wittern eine Kehrtwende in der Nahostpolitik des Kremls. Russland suche eine Annäherung an die arabischen Golfstaaten, die aufseiten der Assad-Gegner stehen, um die westlichen Sanktionen zu umgehen. Gab es für Moskau zu Assad als Präsidenten bislang offiziell keine Alternative, erklärte ein russischer Sprecher nun: „Am wichtigsten ist die Wahrung unserer strategischen Interessen, die Sicherung der Minderheiten und die Einheit Syriens sowie der Kampf gegen die Islamisten.“Kein Wort mehr von Assad.
Umso mehr Worte findet Hassan Nasrallah, Chef der libanesischen Hisbollah, die in den vergangenen zwei Jahren für Assad die wichtigsten militärischen Erfolge errang. Nasrallah sprach von einer „existenziellen Gefahr“für seine Organisation. „Wir haben drei Optionen“, sagte er in einer Ansprache. Man könne „kapitulieren und unsere Frauen und Mädchen zu Geiseln machen. Oder fliehen und erniedrigt und planlos von Land zu Land ziehen.“Oder aber „noch härter kämpfen, als wir es bisher taten“. Dabei sollen bereits 1000 der 5000 Hisbollah-Elitekämpfer in Syrien gefallen sein. In der insgesamt 20.000 Mann starken Truppe macht sich Unmut breit. Längst reicht die Kraft nicht mehr. An der Seite der Hisbollah kämpfen neuerdings auch schlecht ausgebildete palästinensische Söldner. Zudem hat die Miliz angeblich begonnen, Minderjährige für einen Monatslohn von 500 bis 2000 Dollar zu rekrutieren. Nasrallah forderte Opferbereitschaft: Sogar wenn die Hälfte aller Schiiten, ja sogar drei Viertel von ihnen sterben würden und der Rest „ein würdevolles, starkes und edles Leben führen kann – ist das die bessere Option“. Doch diese Reden stoßen mittlerweile auf Widerstand. Nicht alle Schiiten des Libanons wollen ihre Söhne in Syriens Bürgerkrieg entsenden. Die Kritik am einst allmächtigen Milizchef nimmt zu.
Doch noch steht Assads wichtigster Verbündeter, der Iran, zu ihm. Doch selbst Teheran fällt die Hilfe immer schwerer, die Revolutionswächter sind auf immer mehr Fronten in Syrien, im Irak und nun auch im Jemen verteilt.
Kein Wunder also, dass Assads Gegner frohlocken. Schon heißt es in Berichten aus Saudi-Arabien, Syriens Präsident habe seine Anhänger angewiesen, aus Damaskus ins Küstengebiet zu fliehen, wo sich Assads Minderheit der Aleviten in einem kleinen Rumpfstaat verbarrikadieren will. Das mag verfrüht sein. Doch Assads Überlebenskampf war noch nie so verzweifelt wie heute.