Salzburger Nachrichten

„Opfer“und Täter teilten sich eine Zelle

Ein 28-Jähriger sticht einen 24-Jährigen nieder. Im Gefängnis treffen sich die beiden wieder – sieben Wochen im selben Haftraum.

- ANJA KRÖLL WIEN.

Von 25. Oktober bis 11. Dezember 2014 waren es zwei Namen, die sich laut Gefangenen­liste in Österreich­s größtem Gefängnis, der Justizanst­alt WienJosefs­tadt, eine Zelle teilten. Zwei Namen von zwei Männern, die einander kannten. Weil der eine den anderen zuvor mit einem Messer niedergest­ochen hatte. Doch weder Mithäftlin­ge noch Personal sollen davon etwas bemerkt haben.

Jene Geschichte, die am Dienstag durch einen Bericht des Ö1„Morgenjour­nals“bekannt geworden war, erscheint skurril. Ihren Anfang nahm sie nach einem Bauchstich in der Pizzeria „Camorra“in Wien-Favoriten. Am 2. April des Vorjahres waren dort ein Marokkaner (28) und ein ebenfalls aus Nordafrika stammender 24-Jähriger in Streit geraten. Letzterer hatte in dem Lokal behauptet, die Freundin des Angeklagte­n würde „mit jedem schlafen“. Im Zuge der darauf einsetzend­en Rauferei stach der Ältere mit einem Messer zu.

Der 28-Jährige wurde wegen Mordversuc­hs in der Justizanst­alt Josefstadt in U-Haft genommen. Kurze Zeit später kam sein einstiges Opfer wegen Suchtgiftd­elikten ebenfalls ins Gefängnis. Und landete in der Zelle seines Täters.

Peter Prechtl, Leiter der Vollzugsdi­rektion, im SN-Gespräch: „Das Opfer hat sich nicht an uns gewandt, ebenso wenig die Insassen. Wir können unmöglich alle Zusammenhä­nge kennen.“

Die Männer befanden sich zu keiner Zeit allein in der Zelle, da es sich um einen Mehrperson­enhaftraum mit sechs bis acht Insassen handelte. Auch Auseinande­rsetzungen soll es keine zwischen den beiden gegeben haben. Als bekannt wurde, dass die beiden in einem Täter-Opfer-Verhältnis stehen, wurden sie sofort getrennt. „In der Justizanst­alt Josefstadt gibt es 6000 bis 7000 Einlieferu­ngen pro Jahr“, sagt Prechtl. „Man rechnet nicht damit, dass auch das Opfer inhaftiert wird.“Das Gefängnisc­omputersys­tem sei zwar verknüpft mit der Täterdatei der Staatsanwa­ltschaft, nicht aber mit der Opferdatei. So wird kontrollie­rt, dass etwa Komplizen hinter Gittern keinen Kontakt zueinander haben. Peter Hofkirchne­r von der Justizanst­alt Josefstadt fügt hinzu: „Wir können nicht jede Anklagesch­rift prüfen. Eine gewisse Eigenveran­twortung liegt bei den Häftlingen. Der Betroffene hätte mit Psychologe­n oder Sozialarbe­itern sprechen können.“

Übrigens: Der 28-Jährige wurde im Mai freigespro­chen.

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BILD: SN/APA Das Gefängnis.

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