„Zeig mir das Geld“
In London gibt es Stadtführungen der besonderen Art. Steuerumgehung ist ein beliebtes Spiel im Vereinigten Königreich.
Wer von Ihnen zahlt gern Steuern?“Tom Barns blickt in die Runde, einige kichern, niemand streckt den Arm nach oben. Am Revers seines Jacketts prangt ein hellblauer Button, auf dem „Schließt die Steuerschlupflöcher“steht. Der 27-Jährige ist Aktivist der Nichtregierungsorganisation ActionAid und Stadtführer der etwas anderen Art. Rund 20 Interessierte haben sich an diesem Abend am Piccadilly Circus in London getroffen. Es ist eine bunte Mischung. Ein paar tragen Hemd, zwei Anzüge stechen grau hervor, Frauen vom Typ Hippie sind genauso darunter wie Studenten und Leute, die in sozialen Berufen arbeiten und gehetzt von der Arbeit kommen. „Heute werden wir uns auf Schatzsuche begeben“, ruft Natasha Adams. Sie und Tom Barns führen seit einem Jahr mit ihrer ungewöhnlichen „Show me the Money“-Tour Menschen durch die Stadt und wollen ihnen das „versteckte Geld“zeigen – es geht um Firmen, die die Organisation als Steuervermeider bezeichnet.
Es ist ein großes Thema im Vereinigten Königreich: Immer wieder sorgen Fälle von Steuerumgehung für Schlagzeilen und wütende Demonstranten. Denn es sind vor allem zum Königreich gehörende Überseegebiete und britische Inseln wie Guernsey, Anguilla, Bermuda oder die Britischen Jungferninseln, wo Unternehmen und Privatiers versuchen, ihr Geld am britischen Fiskus vorbeizuschmuggeln.
Vor einigen Wochen stand die Großbank HSBC in der Kritik, nachdem bekannt wurde, dass sie Kunden in der Schweiz geholfen haben Katrin Pribyl berichtet für die SN aus London soll, Steuern zu hinterziehen. Andererseits versucht die konservative Regierung von David Cameron, Großbritannien attraktiv zu gestalten. Erst vergangene Woche sprach sich London gegen Pläne der EU aus, die Steuerpolitik weiter zu vereinheitlicht, um Steuerumgehungen von globalen Großkonzernen zu bekämpfen. London will nicht riskieren, dass Unternehmen ihren Sitz aus der Metropole abziehen. Nach dem ersten Stopp vor der Barclays Bank, die wie die meisten anderen Firmen die Vorwürfe von ActionAid zurückweist, geht es in Richtung Burlington Arcade, in der seit 1819 Luxuswaren eine betuchte Kundschaft anlocken. Am Straßenrand wartet ein Chauffeur im Bentley, im Schaufenster eines Geschäfts hängen Badeshorts um 225 Euro das Stück. Nur drei Schritte entfernt bettelt ein Obdachloser um Almosen. Es ist ein gewohntes Bild im edlen Stadtteil Mayfair, wo die Lücke zwischen Reich und Arm besonders drastisch sichtbar wird.
„Steuerumgehung ist nicht nur ein moralisches Problem“, sagt Tom Barns. Laut Oxfam besitzen die 80 reichsten Menschen der Welt so viel wie die ärmsten 50 Prozent, etwa 3,5 Milliarden Menschen. Allein im Vereinigten Königreich verfügen die fünf wohlhabendsten Familien über mehr Vermögen als jene 20 Prozent der Briten, die am unteren Ende der Einkommensliste stehen. „Wenn Menschen oder Unternehmen keine Steuern zahlen, ist ein wichtiger Mechanismus zur Umverteilung des Wohlstands grundlegend gebrochen“, sagt Barns. ActionAid wolle Bewusstsein schaf- fen. „Das Thema Steuern ist oft langweilig“, erklärt der junge Mann. Mit der „Show me the Money“-Tour soll es auf eine „anschauliche und spaßige Art und Weise“vermittelt werden.
Die Gruppe stoppt vor einer der zahlreichen Starbucks-Filialen. Kaffeepause? Nein, es handle sich nur um ein prominentes Beispiel für legale Steuervermeidung, meint Natasha Adams. Das Unternehmen operiert seit 17 Jahren in Großbritannien und hat angeblich 2014 erstmals einen Gewinn von umgerechnet 1,55 Millionen Euro erzielt. Dabei waren die Umsätze in der Vergangenheit mehrfach sehr groß. Die 34-Jährige erklärt das Verfahren mit dem Begriff Gewinnverschiebung. Gewinne würden dorthin verlagert, wo die geringsten Steuern anfielen. Der 41-jährige Shahid schüttelt den Kopf. Der Londoner findet es „verstörend und frustrierend“, dass Regierungen dieses Spiel zulassen, „Es ist unfair, ich habe ja auch keine Wahl und muss meine Steuern bezahlen.“Dieses Land habe so hohe Schulden wie auch viele andere EU-Länder. „Wir brauchen doch das Geld.“