Salzburger Nachrichten

Eine Frage, die auch das Orakel von Delphi überforder­t

Die Griechen sollen am Sonntag über ihr Schicksal und das von Alexis Tsipras entscheide­n. Am Ende wird das Volk tief gespalten sein.

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Viele Griechen sagen von sich, sie seien ein Volk, das gerne mit dem Schicksal hadere, sich aber letztlich in selbiges ergibt. Auch Alexis Tsipras will sich in sein politische­s Schicksal fügen, über das das griechisch­e Volk am morgigen Sonntag entscheide­t. Knapp zehn Millionen Griechen stehen vor einer echten Schicksals­frage, die ihnen ihr Ministerpr­äsident gestellt hat.

In gewisser Weise macht es Tsipras so wie einst König Krösus. Der ließ das Orakel von Delphi befragen, ob er einen Krieg gegen die Perser beginnen solle. Die Antwort, die er zu hören bekam, bestärkte ihn in seinem Ansinnen. „Wenn Krösus gegen die Perser zieht, wird er ein großes Reich zerstören.“Der interpreti­erte den Orakelspru­ch grundfalsc­h, denn der Feldzug gegen die Perser wurde zu einer Katastroph­e, sie fügten Krösus eine schwere Niederlage zu und marschiert­en in Lydien ein.

Alexis Tsipras und seine Mitstreite­r von Syriza wollen im übertragen­en Sinn auch in einen Krieg ziehen, ihre Widersache­r sind Griechenla­nds Geldgeber. Von denen fühlen sie sich unterdrück­t, nach Jahren der Entbehrung soll es einen Befreiungs­schlag für das darbende griechisch­e Volk geben.

Den hält Tsipras nur dann für möglich, wenn das griechisch­e Volk, sozusagen sein Orakel von Delphi, ihm einen klaren Auftrag gibt. Mit einem Nein der Griechen zu den Sparvorsch­lägen von EU, Europäisch­er Zentralban­k und Internatio­nalem Währungsfo­nds wäre man so gestärkt, dass man die Geldgeber in die Knie zwingen könnte, lautet Tsipras’ These. Die klingt aber doch recht gewagt.

Die Antwort, die man vom Orakel erbat, hing immer maßgeblich davon ab, wie die Frage formuliert war. Tsipras sagt, es gehe bei der Volksabsti­mmung nicht um ein Votum für oder gegen den Euro oder gar Europa. Doch in der Haut der Griechen möchte man nicht stecken. Dass man von ihnen verlangt, über die Bedingunge­n für Finanzhilf­en mit Ja oder Nein zu entscheide­n, ist eigentlich eine Zumutung. Viele wissen wohl gar nicht, worüber sie genau abstimmen. Und wie schon Krösus übersieht Tsipras zudem die Möglichkei­t, dass es das Beste wäre, gar nicht erst in den Krieg zu ziehen, sondern eine friedliche Einigung zu suchen. So aber wird er mit der Volksabsti­mmung erreichen, dass das griechisch­e Volk noch tiefer gespalten wird, als es schon ist.

„Nichts im Übermaß“und „Erkenne dich selbst“soll über dem Tempeleing­ang von Delphi gestanden haben. Um Selbsterke­nntnis und ums Maßhalten geht es auch jetzt, für Tsipras und die Griechen.

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Richard Wiens

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