Drachen über Berlin
Hoch sind hier nur die Bäume. Kein Berg weit und breit. Dennoch fliegen bei Jüterbog, 60 Kilometer südlich von Berlin, Drachenflieger durch die Lüfte. In die Höhe geht’s mithilfe eines fliegenden Trikes. INFORMATIONEN
Etwas beklommen lugt die Besucherin in den strahlend blauen Himmel. Hoch oben schweben mehrere Drachenflieger durch die Lüfte. Hie und da ein bunter Punkt, der majestätisch und ruhig durch das wolkenlose Azur gleitet. Gleich geht es mit Martin Ackermann nach oben. Der Mann mit den freundlichen Augen ist ein absoluter Profi und zeigt auch blutigen Anfängern bei einem Tandemflug, wie die Brandenburger Wälder und Felder rund um Berlin von oben aussehen. „Also der Fuß kommt in die Schlaufe und mit den Händen hältst du dich an der Stange fest. Helm aufsetzen nicht vergessen“, lauten seine Anweisungen. Und das mit so viel Gelassenheit, dass sich auch der Neuling vor seinem ersten Flug ein wenig entspannt.
Kurz darauf sind Beine und Arme dort, wo sie hingehören, um sicher zu starten. Beim Tandemflug mit dem sogenannten Hängegleiter liegt der Mitflieger wie eine Raupe in einer Art Kokon. Darunter waagerecht der Profi. Fertig angeschnallt, und schon rollt das Paar die Startbahn entlang. Das Rollen erinnert an den Start eines Flugzeuges, das leise beginnt und dann immer lauter wird. Mit dem Unterschied, dass man in einem Gefährt ohne Wände, Böden und Decken liegt.
Mit dem Blick auf den Asphalt, nur eine Armlänge entfernt, wirkt dies alles wie eine recht wackelige Angelegenheit. Dann rollt der Drachen immer schneller und plötzlich hebt er ab. Im Flugzeug würde man jetzt an den Sitz gedrückt. Nicht so beim Drachenfliegen. Dafür tanzen im Bauch die Schmetterlinge – die sich nach und nach im ganzen Körper ausbreiten. Das Trike, ein motorisiertes, fliegendes Fahrzeug, zieht den Drachen immer höher, die Landschaft unten gleicht mehr und mehr Spielzeugfiguren: kleine Bäumchen, die Straße und ein paar Zelte am Waldesrand. Die laute, quirlige, freche Hauptstadt ist nur einen Katzensprung entfernt, kaum zu glauben.
Die Nachmittagssonne taucht Wälder und Felder in ein goldenes Licht. Das Panorama stimmt – auch ohne Bergwelt. An diesem Sommernachmittag wirken die fliegenden Dreiecke ein wenig wie ein harmonisches Zusammenspiel eines übergroßen dreidimensionalen Kunstwerks. Mit sehr viel kräftigem Blau, in weiter Ferne ein wenig Grün und ab und zu ein paar bunten, sich träge bewegenden Klecksen, die sich ihren Weg durch die Luft bahnen.
In etwa 1000 Meter Höhe klinkt Martin sich aus dem Trike aus und die Tandemflieger schweben still und leise über die Landschaft. „Das ist der wahre Genuss. Ohne Motor“, seufzt Martin genießerisch. Was für die meisten Menschen ein Adrenalinschub der Extraklasse ist, ist für ihn die absolute Entspannung, eine Art Meditation. „Beim Drachenfliegen bekomme ich den Kopf frei. Da denke ich an gar nichts. Nur ans Fliegen.“
Behäbig gleitet der Drachen über den Flughafen und den Wald hinweg. Die ganz kleinen Punkte dort unten sind eine Gruppe passionierter Flieger, die jedes Wochenende auf dem Platz verbringen. Und auch BerlinBesucher können hier die Mark Branden- burg aus einer völlig anderen Perspektive kennenlernen. Thermik, Winde, Höhen und Zeiten werden diskutiert. Manche Clubmitglieder fliegen auch in andere Städte und lassen sich dort von ihren Freunden mit dem Auto wieder abholen. Drachen-Abholservice sozusagen. Wenn die Thermik es zulässt, schrauben sie sich unterwegs wie Greifvögel in die Höhe, bevor sie weitergleiten. Bis zu 300 Kilometer legen sie so zurück.
Von solch einem Unterfangen sind Neulinge natürlich weit entfernt. Ihr Ziel ist es meist, die nächsten zwanzig Minuten lebend zu überstehen. Da hilft ein Trainer wie Martin. Auch das sanfte Rauschen des Flugwinds ist ein ständiger und irgendwie beruhigender Begleiter. Nach einer kleinen Eingewöhnung stellt sich dann endlich der Genuss ein und das Adrenalin im Körper verebbt. Jetzt wird es doch tatsächlich entspannend.
Beim Sinkflug wähnt man sich schon viel sicherer. Doch vor der Landung wird noch einmal richtig deutlich, in welchem Element man sich befindet. Kurz bevor der Drachen wieder sicher auf dem Boden landet, kommt der nochmalige Kick – gefolgt von dem ein oder anderen Schreckenslaut. Die Landebahn scheint sich in einem Höllentempo zu nähern – kein Vergleich zu dem ruhigen Gleiten in luftigen Höhen, wo alles auf dem Boden wie Spielzeug aussah. Martin grinst: „Das ist normal, kurz vor der Landung Angst zu haben. Wenn man so nah am Erdboden ist, erscheint das alles viel wirklicher als zuvor.“Ein Wahnsinnserlebnis, wie man später den Freunden erzählen wird. Aber es tut auch gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Schlafen: I nfo: