Absturzgefahr in Turin
Eine andere italienische Reise. Jan Brandt in Italien: Das ergibt keine Geschichte der Bewunderung, sondern eine der verpatzten Glückseligkeit.
Seit seinem Romandebüt „Gegen die Welt“im Jahr 2011, das den Sprung auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, wird der doch schon recht reife, 41-jährige Jan Brandt als Wunderkind gefeiert. Aber wie macht einer weiter mit dem zweiten Buch, dem eigentlichen Härtetest für jede Schriftstellerkarriere?
Jan Brandt gibt sich selbstbewusst und selbstverliebt, und so stellt er sich kurzerhand selbst ins Zentrum seines jüngsten Bands. Er porträtiert sich als Schriftsteller, der nach Turin reist, um auf der dortigen Buchmesse die italienische Übersetzung des Romans vorzustellen. „Alle deutschsprachigen Schriftsteller von Weltrang haben über ihre italienische Reise geschrieben“, notiert er. Spricht hier die reine Vermessenheit aus Jan Brandt? Immerhin widmet er einen ganzen Abschnitt Zitaten bedeutender Vorgänger, die sich im Laufe ihres Lebens in Italien umgesehen haben und Zeugnis davon ablegten: Thomas und Heinrich Mann, Ingeborg Bachmann und Paul Nizon, Johann Gottfried Seume und Ingeborg Bachmann, Goethe sowieso. Das ist die Gesellschaft, die er um sich versammelt und die ihm angemessen scheint.
Doch halt! Von einer Überhöhung der eigenen Person ist im Buch nicht viel zu sehen. Auch die Textstellen der großen Vor- gänger räumen mit dem Italien-Mythos auf oder weisen einen doppeldeutigen Charakter auf. Immerhin haben es Brinkmann und die anderen bis nach Rom oder an geschichtsträchtige Ruinenstätten geschafft.
Jan Brandt verschlägt es gerade einmal in die Industriestadt Turin, die nach den erfolgreichen Bemühungen Silvio Berlusconis dramatische Einschnitte im kulturellen Bereich hinnehmen musste. Jan Brandt in Italien, das ergibt keine Geschichte der Bewunderung, sondern eine der verpatzten Glückseligkeit. Das hängt auch mit dem Charakter des Verfassers zusammen, der selten zu erwähnen vergisst, dass er eine schwierige Persönlichkeit ist, dann aber doch niemandem Schwierigkeiten bereitet. Glücklich sieht man den Kompromissbereiten in Turin nie.
Drei Tage lang betreibt er das Buchmesse-Spiel mit Auftritten, Interviews und abendlichen Unternehmungen in Gemeinschaft klaglos. Er macht gute Miene selbst dann noch, wenn Gespräche ins Leere laufen, weil das Gegenüber seinen Roman nicht gelesen hat. Über weite Strecken ist das ein Buch über das Ruhebewahren in wenig ergötzlichen Momenten.
Spannung und Ironie ergeben sich aus der Kluft zwischen der Erwartung eines Autors mit großen Ambitionen und einem Literaturmarkt, der für den Einzelnen wenig Interesse aufbringt. Den Verfasser erleben wir als einen Verlorenen unter Tüchti- gen, als einen, der sich nicht am richtigen Ort wähnt. Also hält er fest, was er sieht, was er hört. Im Stadtzentrum bemerkt er Gebäude „säulenumstanden, skulpturenverziert, fahnenbehängt“, Standbilder sind „uniformiert, behelmt und bewaffnet“. So, wie Brandt darüber schreibt, merkt man die große innere Distanz zu allem Mächtigen, Großen. Und als er sich einmal auf den Weg macht, um das so verehrte Turiner Grabtuch mit eigenen Augen zu sehen, erlebt er eine Enttäuschung. Das Original bekommt er nicht zu sehen, und auch von der Kopie nur „das vergrößerte Best-of, den perfekt ausgeleuchteten Kopf Christi – sofern es denn der Kopf Christi ist.“
Das Hotel befindet sich auf dem früheren Firmengelände von Fiat, wo auch ein gewaltiges Einkaufszentrum untergebracht ist. Einen großen Teil seiner Freizeit verwendet der Verfasser darauf, den Supermarkt zu durchstreifen, erschlagen von dem Angebot. „Allein die Nudelregale nehmen ein ganzes Haus ein.“Das befördert nicht die Kauflust des Besuchers, sondern stürzt ihn in Verzweiflung.
Ausführlich beschreibt er seine „Odyssee durch die mediterrane Küche“, so kommt wenigstens durch den Sprachgebrauch noch ein Hauch von Kultur ins Buch von einem, der sich nie Schwärmerei zugesteht, um sich damit als Anti-Goethe zu profilieren. Den tumben Toren verschlägt es in eine Welt, die ihm fremd ist. Er wehrt sich dage- gen, indem er darüber schreibt, das hat einige recht witzige, auch selbstironische Passagen zur Folge.
Einen reinen Reisebericht als Selbsterfahrungsmanöver wollte Jan Brandt dann doch nicht abliefern. Einerseits strebt er Genauigkeit an, indem er selbst längere Dialoge wiedergibt, um Authentizität zu erzeugen. Doch ist dem nicht zu trauen, zumal wir bei diesem Autor stets mit einem Einbruch der Fantasie rechnen müssen, wodurch Erlebtes noch einmal richtig aufgemischt wird. Er braucht Pointen, um dem Text Schwung mitzugeben, er sucht Geschichten und Episoden, um den Lesern Überraschendes zu bieten. Doch alles dreht sich um das Ich, den Erzähler, der die letzte Instanz und Vermittler von Wirklichkeit ist.
Dieses Ich bleibt eine vage Konstruktion. Beim Einchecken wird der Erzähler „mit einem gewissen Robert Braun“verwechselt, eine Identität, die sich der Erzähler dann einfach klaut. Das stellt alles, was vorher war, in ein zweifelhaftes Licht. Das Ich ist das, wofür sich jemand hält – jedenfalls nichts für die Ewigkeit.