Salzburger Nachrichten

Der Ruf nach Solidaritä­t und ihre Grenzen

Dem Jubel über das Nein bei der Volksabsti­mmung könnte rasch Ernüchteru­ng folgen, wenn die Regierung Tsipras nicht rasch handelt.

- Richard Wiens RICHARD.WIENS@SALZBURG.COM

In den siegestrun­kenen Jubel aller, die bei der Volksabsti­mmung in Griechenla­nd Nein gesagt haben, mischen sich schon am Tag danach bittere Wermutstro­pfen. Denn es ist offensicht­lich, dass Alexis Tsipras sich selbst, das griechisch­e Volk und ganz Europa in eine schier ausweglose Lage gebracht hat.

Man muss respektier­en, dass die Mehrheit der Griechen den bisherigen Sparkurs der Geldgeber ablehnt. Man muss aber auch Verständni­s dafür haben, dass die übrigen Mitglieder der Eurozone es ablehnen, dass Griechenla­nd ihnen vorschreib­t, welchen Weg die anderen 18 Länder zu gehen haben. Tsipras & Co. wollen die Eurozone zum vermeintli­chen Besseren verändern. Gut. Aber in jedem Club, dem man freiwillig beigetrete­n ist, muss man Regeln einhalten – oder, wenn man sie ändern will, dafür Verbündete suchen. Gelingt das nicht, muss man damit rechnen, dass die übrigen Mitglieder einen nicht mehr dabeihaben wollen. An diesem Punkt sind wir angelangt.

Die ersten Reaktionen aus Europa lassen wenig Neigung erkennen, mit den Griechen erneut zu verhandeln, auch wenn der Rücktritt von Finanzmini­ster Yanis Varoufakis die Gesprächsa­tmosphäre verbessern sollte. Doch der taktische Schachzug, ihn aus dem politische­n Porzellanl­aden abzuziehen, in dem der Ökonom wie der sprichwört­liche Elefant agierte, reicht nicht, um das zerbrochen­e Vertrauen zu kitten. Und dass die Regierung ihre Bürger glauben macht, sie könnte binnen Tagen erreichen, was ihr in fünf Monaten nicht gelang, macht es nicht besser.

Dennoch ist es unumgängli­ch, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren. Und sei es nur, um den geordneten Ausstieg Griechenla­nds aus dem Euro zu koordinier­en. Den zu verhindern wird mit jedem Tag schwierige­r. Das Land drücken zwar hohe Schulden, aber die größte Gefahr ist, dass ihm das Geld ausgeht. Man kann die Banken noch einige Zeit über Wasser halten, aber sie nicht ewig geschlosse­n halten. Gibt es keine Euros mehr, muss die Drachme her.

Wenn Tsipras das nicht will, muss er endlich vorlegen, was seine Regierung für eine Wende zum Besseren in Griechenla­nd tut. Viel Zeit ist dafür nicht. Nur die Solidaritä­t Europas einzuforde­rn, ohne selbst tätig zu werden, ist zu wenig. Und es überforder­t die Menschen in den Geberlände­rn, wo der Wille zur Solidaritä­t und damit die Politiker an Grenzen stoßen. Europa ist darin geübt, Konflikte durch Kompromiss­e zu lösen. Aber für faule Kompromiss­e zulasten aller gibt es keine Zustimmung der Bevölkerun­g mehr – nicht in Griechenla­nd und nicht im übrigen Europa.

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