Salzburger Nachrichten

„Das Zeitfenste­r ist schon sehr klein“

Keineswegs ein Pyrrhussie­g war das Referendum, meint der deutsche Ökonom Jens Bastian, der seit 16 Jahren in Griechenla­nd lebt. Gut gemeinte Politikera­ussagen für das Ja-Lager hätten das Gegenteil bewirkt.

- Der deutsche Ökonom war für die EU-Taskforce Steuern in Griechenla­nd und lebt seit 16 Jahren im Land. Heute ist er freier Berater.

SN: Warum ist das Nein beim Referendum so unerwartet deutlich ausgefalle­n? Bastian: Erstens zeigt sich, dass ein Referendum die richtige Entscheidu­ng war. Die Leute haben eine eindeutige Antwort gegeben, das stärkt Premiermin­ister (Alexis) Tsipras. Zweitens konnte das Regierungs­lager seinen Bonus nutzen. Es hatte in Tsipras eine charismati­sche Persönlich­keit, die viel politische­s Kapital für ein Nein eingesetzt hat. Niemand im Ja-Lager konnte Tsipras das Wasser reichen. Man hat dort die Stimmung im Land falsch eingeschät­zt. Es war völlig falsch, eine Anti-Euro-Polarisier­ung aufzubauen, die es in der Bevölkerun­g gar nicht gibt. Die Griechen haben nicht für den Austritt aus der Eurozone gestimmt. Das Ja-Lager bekam auch große Probleme durch Interventi­onen wie jene von Kommission­spräsident Juncker oder EUParlamen­tspräsiden­t Schulz, die als Belehrung und Bedrohung aufgefasst wurden. Viele sind von einem Ja umgeschwen­kt, weil sie sich so etwas verbitten. SN: Manche werten das Referendum als einen Pyrrhussie­g, der Athen nichts bringen dürfte. Ich finde diese Einschätzu­ng unangemess­en. Es ist ein klares demokratis­ches Mandat und der zweite historisch­e Sieg der Linksregie­rung in sechs Monaten. Wer glaubt, das ignorieren zu können, zieht die falschen Schlüsse. Es wäre verkehrt, jetzt konfrontat­iv auf Herrn Tsipras zuzugehen. Ich glaube, Tsipras ist nun bereit, flexibel und ergebnisor­ientiert zu verhandeln. Finanzmini­ster (Yanis) Varoufakis hat ihm mit seinem Rücktritt einen Gefallen getan, diese Hypothek ist aus dem Spiel. Unter diesen Voraussetz­ungen wäre es grundfalsc­h, alternativ­los auf dem zu bestehen, was vor zehn Tagen auf dem Tisch lag. Angesichts des klaren Ergebnisse­s muss man auch auf europäisch­er Ebene Konsequenz­en ziehen. SN: Hat sich auch die Uneinigkei­t der Geldgeber ausgewirkt? Die Gläubiger haben durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie bei den wichtigste­n Sachthemen nicht einer Meinung sind. Dazu gehört insbesonde­re die Umschuldun­g. Hier hat der IWF mit seiner Schuldentr­agfähigkei­tsanalyse am Donnerstag deutlich gemacht, dass Griechenla­nd nicht aus seinen Schulden herauswach­sen kann. Das war eine klare Aufforderu­ng an die Gläubiger. Dass genau diese versucht haben, die Veröffentl­ichung des Berichts zu verhindern, war ein politische­s Eigentor. Tsipras kann jetzt sagen, dass er beim wichtigste­n Thema einen Partner bei den Institutio­nen hat, nämlich den IWF. SN: Aber man ist einer Lösung nicht näher als im Februar und muss jetzt unter viel schlechter­en Vorzeichen verhandeln. Man steht unter erhebliche­m Zeitdruck. Am 20. Juli muss Griechenla­nd eine Staatsanle­ihe über 3,5 Mrd. Euro an die EZB zurückzahl­en. Das Geld haben sie nicht. Also muss man jetzt sehr zeitnah eine Vereinbaru­ng treffen, sonst wäre man nach dem IWF mit einem zweiten, europäisch­en Gläubiger in Zahlungsrü­ckstand. Schaffen sie das nicht in den verbleiben­den 13 Tagen, droht nicht nur der Bankensekt­or zu kollabiere­n, weil die EZB den Stecker ziehen muss. Beide Seiten müssen noch einmal nachdenken und Flexibilit­ät zeigen. Bei der Umschuldun­g muss es nicht der große Wurf sein, das kriegt man nicht in 13 Tagen hin. Aber man braucht eine Brückenfin­anzierung etwa bis September, damit Griechenla­nd seine Verpflicht­ungen im Sommer bedienen und wichtige Reformen umsetzen kann. Dann kann man mit Blick auf ein drittes Programm für Griechenla­nd weiterverh­andeln, das dann auch ein Investitio­ns- und Beschäftig­ungsprogra­mm sein muss. SN: Wie groß ist die Chance, dass man einen Grexit oder Graccident verhindern kann? Das zeigen die 13 Tage bis 19. Juli. Kann Griechenla­nd die fällige Anleihe nicht zurückzahl­en, dann steigt die Wahrschein­lichkeit für den Grexit, weil die EZB vom Mandat her nicht mehr in der Lage ist, den griechisch­en Banken weitere Notfallkre­dite zur Verfügung zu stellen. Daher ist das Zeitfenste­r nicht sehr groß. Man darf keine Zeit mehr verschwend­en mit irgendwelc­hen ideologisc­hen oder spieltheor­etischen Ideen, jetzt muss man angesichts der Kürze der Zeit und der Dramatik der Situation kurzfristi­g miteinande­r zu einer Einigung kommen. Dabei darf das Ergebnis des Referendum­s nicht ignoriert werden.

Jens Bastian (55):

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